Innerstädtische großdimensionierte Interimsleitung
09.07.2020
Lösung in Guss
Interimsleitungen sind kein Provisorium
Formschlüssige und gelenkige Schubsicherungssysteme haben den Anwendungsbereich von duktilen Guss-Systemen erweitert. Diese Schubsicherungssysteme haben gezeigt, dass sie allen Belastungen aus inneren und äußeren Kräften standhalten. Beim Bau und beim Betrieb von schubgesicherten Leitungen in Tunneln und unter Brücken, dem Einsatz bei grabenlosen Einbauverfahren sowie beim Einbau im offenen Graben bewegt sich der planende Ingenieur im Bereich der allgemein anerkannten Regeln der Technik.
Interimsleitungen werden ebenfalls mit schubgesicherten duktilen Gussrohren gebaut. Sie sind keine Provisorien, sondern Übergangs- oder Zwischenlösungen für ein dringendes ingenieurtechnisches Problem: Mit ihnen können über begrenzte Zeiträume die Ver- oder Entsorgung während der Sanierung oder des Neubaus von Leitungsabschnitten sichergestellt werden. Generell müssen Zwischenlösungen einen störungsfreien Weiterbetrieb auch unter wechselnden Betriebszuständen absichern. Es gilt die EN 805, 5.4: Schutz des Systems: „Erdverlegte Systeme sind im allgemeinen sicher, oberirdischen Leitungsteilen ist dagegen besondere Beachtung zu schenken“ [1].
Bau und Betrieb von Interimsleitungen haben sich in der Praxis hinreichend bewährt und wurden u. a. in mehreren Jahresheften der EADIPS FGR beschrieben [2], [3], [4]. Alle diese Projekte wurden individuell geplant und verliefen erfolgreich zur Zufriedenheit der Auftraggeber. Daher kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass es sich um den Stand der Technik handelt.
Darauf aufbauend bereiten die Berliner Wasserbetriebe gerade den Entwurf einer Werksnorm vor, so dass Interimsleitungen demnächst nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik geplant und gebaut werden können.
Große Nennweiten – große Herausforderungen
In ihrer Investitionsplanung bis 2023 richten die Berliner Wasserbetriebe ihr Hauptaugenmerk auf die Abwasserableitungen und auf diesem Sektor besonders auf die Erneuerung der Druckrohrleitungen, was sich in sehr hohen Investitionskosten niederschlagen wird. Gerade großdimensionierte Leitungen stellen im innerstädtischen Bereich alle Beteiligten (Planung und Bauausführung) vor große Herausforderungen, damit Beeinträchtigungen möglichst gering bleiben. Neben dem Neubau mit Stahl- und Gussrohren werden auch Sanierungsverfahren eingesetzt. Die Wahl des Werkstoffs, des Bauverfahrens und die Abstimmung mit allen relevanten Rechtsträgern ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Baumaßnahme, die durch erfahrene und zertifizierte Baufirmen mit entsprechendem Know how umgesetzt werden. Neben der ingenieurtechnischen Umsetzung muss das gewählte Bauvorhaben auch unter Kostengesichtspunkten die optimale Variante ergeben.
Praxisbeispiel Bauvorhaben Hermann-Hesse-Straße
Im Berliner Ortsteil Pankow, in der Hermann-Hesse-Straße, war eine alte Graugussleitung DN 1200 trassengleich durch neue duktile Gussrohre gleicher Nennweite zu ersetzen.
Dazu war es erforderlich, eine 378 m lange Not- bzw. Interimsleitung mit duktilen Gussrohren oberirdisch auf dem Mittelstreifen (Parkstreifen) zwischen den Fahrbahnen der Hermann-Hesse-Straße unterzubringen. Dabei musste die Baufreiheit für die Realisierung und die zumindest einseitige Durchfahrbarkeit (Einbahnstraßenregelung) einer Straßenseite abgesichert werden.
Außerdem galt es in diesem Bereich der Maßnahme die Belange eines Hotels, eines Kindergartens und einer Schule zu berücksichtigen. Das bedeutete: der Schulbus und der Anlieferverkehr mussten bestimmte Bereiche der gesperrten Richtungsfahrbahn kurzfristig anfahren können und ein entsprechender Stellplatz musste für den Bus eingerichtet werden. Die Interimstrasse musste also zwecks Überfahrbarkeit gedükert werden.
Wohngebiet, Kindergarten, Hotel und Schule sollten auch durch etwaige Gerüche nicht belästigt werden. Deshalb wählte man an den Hochpunkten manuell zu betätigende Entlüftungsventile. Da die Baumaßnahme im Winter durchgeführt wurde, mussten auch etwaige temperaturbedingte Längsausdehnungen geprüft werden, obwohl durch den ständigen Durchfluss des Mediums von einer relativ geringen Temperaturschwankung auszugehen war.
Trotz des stabilen, robusten Rohrmaterials und der Schubsicherung muss eine oberirdisch verlegte Leitung mit ihren Anlagenteilen gegen äußere mechanische Belastungen (Autounfälle, Vandalismus, Brandschutz oder Baum- und Astbruch) hohe Sicherheiten bieten und den sicheren Betrieb garantieren. Es musste eine gewissenhafte Gefahrenanalyse erstellt werden.
Guss-Rohrsysteme erfüllen alle Anforderungen
Für den Neubau der Abwasserdruckleitung wurden schubgesicherte Gussrohre DN 1200 geplant. Für die Interimsleitung wählte man schubgesicherte Gussrohre DN 1000 gemäß EN 598 mit leicht montier- und demontierbaren BLS®-Steckmuffen-Verbindungen. Zeitlich befristet war diese Dimensionsverringerung vertretbar.
Der duktile Werkstoff des Rohres ist diffusionsdicht, und es reicht aus, alle 6 m im Muffenbereich eine Konsole oder den entsprechenden Sattel als Auflager vorzusehen.
Für oberirdisch verlegte Gussleitungen ist zwingend ein formschlüssiges Schubsicherungssystem zu verwenden, da reibschlüssige Schubsicherungssysteme, z. B. TYTON SIT PLUS®, nur für den Erdeinbau die entsprechenden Sicherheiten bieten. Es ist auch unabhängig von der Länge des Trassenabschnittes grundsätzlich jede Steckmuffenverbindung zugsicher auszuführen.
Gerade die gute Handhabbarkeit, der sichere Betrieb und die leichte Montage und Demontage waren hier ausschlaggebend für den Einsatz duktiler Gussrohrsysteme. Durch die 6 m Baulänge lassen sich die Rohre gut transportieren und einbauen.
Einleuchtend ist, dass gegenüber geschweißten Stahlleitungen die Realisierung mittels Steckmuffenverbindung deutlich Zeit gegenüber Schweißungen und deren nachfolgend erforderlichen Korrosionsschutz einspart. Das spätere Trennen von geschweißten Stahlleitungen beim Rückbau kostet ebenfalls Zeit und ist mit spürbaren Belästigungen (Lärm, Staub, Geruch) für die Umwelt verbunden. Die demontierten Rohre sind wieder problemlos und mehrfach einsetzbar. Die Gussrohre sind robust und alle 6 m durch die Muffen gelenkig und zugfest verbunden.
Für die Richtungsänderungen im Trassenbereich und für die Düker (Überfahrbarkeit) entschied sich der Auftraggeber für geschweißte Stahlrohrabschnitte, die mittels Formstücken (F- und EU-Stücken) aus dem BLS®-Komplettprogramm mit der Rohrleitung verbunden wurden.
Baudurchführung nach Maß
Die georderten Rohre wurden in offenen Lastzügen zwecks erleichterter Entladung angeliefert, das notwendige Zubehör (BLS®-Segmente, NBR-Dichtungen, Fixierschellen, Gleitmittel, Verlegegerät usw.) für den ganzen Bauabschnitt gesondert in Gitterboxen.
Oberflächen und Leitungen der angrenzenden Baustelle wurden zusätzlich mit Stahlplatten geschützt.
Für die sichere Rohrlagerung der Interimsleitung wurden Harthölzer verwendet. Das obere Holz wurde als Sattel mit einem eingelegten Stahlblechstreifen als Gleitlager ausgebildet, damit bei etwaigen Längsausdehnungen das Sattelholz nicht kippen konnte. Unter den Hölzern wurde eine quadratische, 1 cm starke Stahlplatte zur Lastverteilung auf das Planum gelegt.
Die Leitung wurde horizontal wie vertikal genau gerade eingebaut. Das Gewicht eines Rohres DN 1000 bei Vollfüllung beträgt 4,7 t bei einer zulässigen Zugkraft der BLS®-Steckmuffen-Verbindung von 1.560 kN. Um kleine Bewegungen zu ermöglichen, wurden die Rohre nicht gesondert festgeschnallt oder durch weitere Maßnahmen fixiert.
Die Rohre wurden dann gemäß Herstellervorschriften mittels Kettenzuggerät montiert, die BLS®-Segmente im Rohrscheitel in die Fenster der Muffenstirn gesteckt, umlaufend verteilt und nachgerückt. Mit einer mitgelieferten Fixierschelle wurden die BLS®-Segmente zusätzlich lagemäßig gesichert.
Nach der Montage musste die Muffenverbindung zwischen der Muffenstirn des Rohres und der Schelle des Verlegegerätes mit Winden (oder Hydraulikstempeln) gereckt werden, um mögliche spätere Längsausdehnungen auf ein Minimum zu reduzieren, aber auch, um ein übermäßiges Recken des Rohrstranges bei der Druckprüfung auszuschließen.
Anschließend stellte man noch einen Anfahrschutz aus Stahlbetonteilen auf, um die Leitung bei etwaigen Verkehrsunfällen zusätzlich zu sichern. Die einzelnen Stahlbetonteile waren miteinander verbunden und wurden mit Beton grob angestampft. Diese zusätzliche Sicherheitsmaßnahme war erforderlich, da die Einhaltung der angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h nicht unbedingt verlässlich ist.
Nach der Rohrmontage wurden die Leitungsabschnitte auf Dichtheit geprüft, wobei die Formstücke genutzt wurden, die auch für die Montage mit den Einbauten notwendig waren. Die Dichtheitsprüfung bei oberirdisch verlegten Druckleitungen hat zwei Aufgaben:
- die endgültige Reckung der längskraftschlüssigen Verbindungen,
- den gleichzeitigen Nachweis für Integrität und Dichtheit der Leitung.
Auf Grund der oberirdischen Verlegung sind hier die höchsten Sicherheiten für das Baupersonal und die Umgebung zu garantieren. Die späteren Betriebszustände werden unter diesen Druckprüfungsparametern liegen und somit abgesichert.
Während der ganzen Betriebszeit kam es zu keinerlei Störungen oder Auffälligkeiten.
Nach Inbetriebnahme der erneuerten Druckrohrleitung DN 1200 konnte die Interimsleitung demontiert und abgebaut werden, wobei die Demontage recht einfach ist:
- Lösen der Fixierschelle
- Zusammendrücken der Verbindung.
- Entnehmen der Segmente. Da die Segmente vor dem TYTON-Dichtring platziert sind, kommen sie auch nicht mit dem Transportmedium in Kontakt und können per Hand ohne weitere Spezialwerkzeuge entnommen werden.
- Auseinanderziehen der Rohre
- Grobe Reinigung der Rohre und Lagerung für ihren weiteren Einsatz auf dem Gelände eines Klärwerks. Diese Rohre können nach Kontrolle wieder für Abwasserleitungen verwendet und damit nachhaltig mehrfach genutzt werden.
Alles optimal gelaufen
Hinsichtlich Zeitaufwand, Handhabbarkeit, Nachhaltigkeit (Wiederverwendbarkeit, Umweltverträglichkeit) sowie Sicherheit während des Betriebs, sind duktile Guss- Rohrsysteme mit BLS®-Steckmuffen-Verbindungen die optimale Alternative für den Bau von Interimsleitungen.
Die duktilen Guss-Rohrsysteme können mit spezifischen Auskleidungen für Frischwasser (vgl. EN 545 [5] oder Abwasser vgl. EN 588 [6]) geliefert werden.
Das entsprechende Technische Regelwerk wird von den Berliner Wasserbetrieben erarbeitet; es enthält auch die theoretischen Grundlagen für den Planer.
Literatur
[1] EN 805:2000-03: Wasserversorgung – Anforderungen an Wasserversorgungssysteme und deren Bauteile außerhalb von Gebäuden.
[2] GERNKE, U. & RINK, W.: Interimsleitung DN 600 sichert die Wasserversorgung in Südsachsen. GUSSROHR-TECHNIK 43 (2009), S. 60
[3] HOFFMANN, U. & RAU, L.: Interimsleitungen aus duktilem Gusseisen sind optimal. EADIPS FGR GUSS-ROHRSYSTEME 52 (2018), S. 38
[4] OPROTKOWITZ, A. & RAU, L. : Neue Lebensadern für ein Berliner Wahrzeichen „Das Olympiastadion“. GUSSROHR-TECHNIK 39 (2005), S. 25
[5] EN 545:2010-12: Rohre, Formstücke, Zubehörteile aus duktilem Gusseisen und ihre Verbindungen für Wasserleitungen – Anforderungen und Prüfverfahren.
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