Intelligente Kanalinspektionsstrategien
18.09.2007
Welchen Nutzen bietet die Anwendung neuartiger Kanalprognosemodelle für bedarfsorientierte Inspektions- und prognosegestütze Sanierungsstrategien? Die Erfahrungen aus Dresden geben Antworten.
In den nachfolgenden Ausführungen wird an dem 766 km langem Mischwasserkanalnetz der Stadt Dresden [10] dargelegt, dass mit einer intelligenteren bedarfsgerechten (zustandsabhängigen bzw. ausfallprognoseorientierten) Inspektionsstrategie anstelle der festen Inspektionsintervalle nach der SüwVKan [11] in Verbindung mit einer Mindestzustands- und Substanzwerterhaltungsstrategie die Anforderungen des Runderlasses der SüwVKan [9] sowie des Leitfadens von Baden-Württemberg [6] erfüllt werden.
Hierbei hatte die SE DD das Interesse an einer zuverlässigen Bewertung des Kanalnetzzustandes und dessen künftiger Entwicklung, um auf dieser Grundlage ein langfristiges Investitionskonzept erarbeiten zu können.
Hierzu sollte unter Verwendung der vorhandenen Stammdaten des Netzinformationssystems und der aus der bisherigen Eigenüberwachung bekannten Netzzustände von rd. 523 km eine Hochrechnung auf das Gesamtnetz von rd. 1.629 km unter Einbeziehung der nicht inspizierten Kanäle mit dem statistischen Prognosemodell AQUA-Selekt Version 3.0b, jetzt 4.0, [1] vorgenommen, eine Prognose und Kalibrierung der Netzalterung mit dem Alterungsprognosemodell AQUA-WertMin 6.1 [2] durchgeführt, Wiederbeschaffungswert und Abnutzungsvorrat (Substanzwert) der Kanalisation bestimmt und mögliche Sanierungsszenarien untersucht werden.
Das Kanalnetz der Stadt Dresden gliedert sich in vier Leitungstypen in Form der begehbaren Großprofile mit rd. 115 km Länge, der nichtbegehbaren Schmutzwasserkanäle mit rd. 418 km und Regenwasserkanäle mit rd. 330 km sowie der Mischwasserkanäle mit rd. 766 km Länge. Insgesamt sind etwa 520.000 Einwohner einschließlich der Stadt Freital an diese Kanalisation angeschlossen.
Grundlage der repräsentativen Inspektion und Zustandsdatenhochrechnung war eine konventionelle Erstinspektion von rd. 30 % des Gesamtnetzes. Eine ausführliche Beschreibung dieser selektiven Erstinspektion kann den Veröffentlichungen unter [3, 7, 8] entnommen werden.
Bei der gezielten Erstinspektion auf Basis der selektiven Kanalinspektion werden im Wesentlichen zunächst die Schichten untersucht, die einen möglichst hohen Anteil an stark schadhaften Haltungen aufweisen. Hieraus ergeben sich bei gleichem Inspektionsumfang zu Beginn deutlich höhere “Trefferquoten”, d.h. eine größere Effektivität, als bei einer konventionellen, flächendeckenden Inspektion.
Die Kosten-Nutzen-Betrachtung nach der bmb+f Selerin „Handlungsanleitung (Teil C“ [3] ergibt eine Wirtschaftlichkeit der selektiven Erstinspektion gegenüber einer konventionellen flächendeckenden Erstinspektion von Faktor 2,45 bei Kostenaufwendungen von etwa 1,7 Mio. € gegenüber 4,2 Mio. €.
Dem Kanalbetreiber erwächst somit bei aktuelleren Zustandsbefunden ein Kostenvorteil von rd. 2,5 Mio. €.
Hierfür wurden die Datenbestände der maßgebenden Sanierungsstrategie für das Teilnetz Mischwasserkanäle mit 766 km Länge und 21.506 Haltungen/Schächte zugrunde gelegt.
Der bisher festgestellte Instandhaltungsrückstau und die durch die Alterungsprognose aufgezeigte schleichende Netzzustandsverschlechterung sollten durch technische und kostenoptimierte Instandhaltungsstrategien begegnet werden. Gemäß dem Entwurf des Merkblattes DWA-M 143-14 „Sanierungsstrategien“ vom Januar 2005 [4] besteht das technische Ziel der Kanalinstandhaltung in der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit und Standsicherheit sowie in der dauerhaften Dichtheit des Systems.
In finanzieller und wirtschaftlicher Sicht sollten die Kosten zur Erreichung der technischen Ziele bei mittelfristiger Betrachtung minimiert werden und die daraus resultierende Entgelt- bzw. Gebührenentwicklung verstetigt und vorhersehbarer sein.
Die Zielerreichung sollte vorrangig mit einer vorbeugenden Sanierungsstrategie in Form einer Mindestzustandsstrategie für die Zustandsklasse 1 (DWA ZK 0) in fünf Jahren und danach mit einer Substanzwerterhaltungsstrategie (Status quo) für die Zustandsklasse 2 (DWA ZK 1) (siehe nachfolgendes Bild) unter Einbeziehung einer prognostischen (ausfallprognoseorientierten) Kanalinspektion realisiert werden.
Hierfür ist folgende Sanierungsleistung ab 2004 zukünftig erforderlich:
Auf dieser Grundlage wurden manuell zusammenhängende Inspektionslose unterschiedlichste haltungweise Inspektionstermine von mindestens 5 Haltungen bis zu 500 m Tagesleistung zusammengefasst. Zwangsläufig ergab sich hierdurch für die nächsten zwei Intervalle von je 15 Jahren ein um etwa 30 % größeres (bereinigtes) Inspektionsvolumen.
Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich zur Erreichung der langfristigen Sanierungsziele die nachfolgenden unbereinigten und bereinigten Inspektionsvolumina für die zustandsabhängige Inspektion ohne und mit Kombination des jährlichen Sanierungsprogramms. Als Vergleich hierzu wurden die Inspektionsraten der Erst- und Wiederholungsinspektionen für die ersten drei Intervalle nach der SüwVKan NRW [11] aufgetragen.
Der Nutzen der ausfallprognoseorientierten Inspektionsstrategie in Verbindung mit einer prognosegestützten Sanierung gemäß dem Leitfaden Baden-Württemberg [3] besteht neben Zielerreichung nach [4] darin, dass immer im ausreichenden Maße aktuelle Inspektionsbefunde für die jährliche Kanalsanierung und Verifizierung des Prognosemodells zur Verfügung stehen. Darüber hinaus werden mit dieser Vorgehensweise mit erheblich geringerem Kosten- und Zeitaufwand die definierten Rahmenbedingungen und Zielsetzungen der Selbstüberwachungs- und Eigenkontrollverordnungen erfüllt.
Ein weiterer Nutzen ist die Gewährleistung der absoluten Kostensicherheit im Rahmen der prognostizierten Kostenentwicklung und somit auch der Werterhalt des Kanalvermögens.
[1] AQUA-Selekt 4.0: EDV-Simulationsprogramm für selektive Kanalinspektionsstrategien. www.kanalinspektionsstrategie.de
[2] AQUA-WertMin 6.1: EDV-Simulationsprogramm für Alterungs- u. Zustandsprognosen sowie prognosegestütze Kanasanierungsstrategien. www.kanalprognosen.de
[3] bmb+f Selerin: Ideenwettbewerb Wasser-Abwasser „Entwicklung eines allgemein anwendbaren Verfahrens zur selektiven Erstinspektion von Abwasserkanälen und Anschlussleitungen“, Teil C: Handlungsanleitung (download unter http://www.kanal-software.de/pdfs/BMBF-Selerin_Teil_C_Handlungsanleitung.pdf ).
Kooperation der ISA RWTH-Aachen, Stadt Braunschweig, Gemeinde Marpingen, Entsorgungsverband Saar, Stadt Ingolstadt, SV-Büro Jansen. Veröffentlicht von der ISA der RWTH-Aachen im September 2002.
[4] DWA M 143-14: Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden, Teil 14: Sanierungsstrategien, vom November 2005.
[5] Jansen, K. (2007): Erfordernis und Nutzen von Kanalprognosemodellen. bi-Umwelt, H. 4/2007, S. 68 + 69.
[6] Ministerium für Umwelt und Verkehr: Leitfaden für kostenminimierende Instandhaltung von Kanalnetzen. Baden-Württemberg vom Dezember 2000.
[7] Müller, K. (2007): Strategien zur Zustandserfassung von Kanalisationen. Band 7 der Aachener Schriften zur Stadtentwässerung vom Oktober 2005.
[8] Müller, K. (2007): Inspektionsstrategien entwickeln: „Zustandserfassung von Kanalisationen“. wasserwirtschaft wassertechnik, H. 3/2007, S. 10 ff.
[9] RdErl. NRW zur SüwVKan: Anforderungen an den Betrieb und die Unterhaltung von Kanalisationsnetzen. RdErl. D. Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft, NRW vom 3.1.1995, Ministerialblatt f.d.Land NRW, Nr. 14, S. 251-253.
[10] SE DD (2005): Kanalnetzzustandsanalyse und -prognose vom Mai 2004 für das rd. 1.650 km lange Kananetz (SW, RW, MW und begehbare Großprofile) im Auftrag der Stadtentwässerung Dresden GmbH. Arbeitsgemeinschaft Ingenieurges. Prof. Dr. Dr.-Ing. Rudolph + Partner mbH in Dresden und Sachverständigenbüro für Kanalsanierung Dipl.-Ing. Karl Jansen Kleinblittersdorf/Krefeld.
[11] SüwVKan NRW: Verordnung zur Selbstüberwachung von Kanalisationen und Einleitungen von Abwasser im Mischsystem und Trennsystem - (Selbstüberwachungsverordnung Kanal - SüwVKan) NRW vom 16. Januar 1995, GV. NRW. S. 64.
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Dipl.-Ing. Karl Jansen (Sachverständigenbüro für Kanalsanierung)
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