Sicherer Vortrieb durch maßgeschneiderte Hard- und Software
04.03.2020
Die verfahrenstechnischen Grenzen des Rohrvortriebs haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verschoben. Vortriebslängen von 800 m und darüber stellen keine Besonderheit mehr dar. Enge Kurven und S-Kurven erscheinen immer häufiger in den Ausschreibungen der Netzbetreiber und werden meist ohne größere Probleme aufgefahren.
Der Grund für diese überaus positive Entwicklung liegt nicht nur in dem stetig steigenden Erfahrungsschatz der meist spezialisierten Fachfirmen, sondern auch in der Integration maßgeschneiderter Hard- und Software in den Vortriebs-Alltag. Einige Produkte, die insbesondere die statische Sicherheit gewährleisten, sollen mit dem vorliegenden Beitrag vorgestellt werden.
Grundlage für die Planung und Ausführung von Rohrvortrieben sind die Regelungen in den derzeit gültigen DWA-Arbeitsblättern A 125 „Rohrvortrieb und verwandte Verfahren“ vom Dezember 2008 und A 161 „Statische Berechnung von Vortriebsrohren“ vom März 2014.
Insbesondere die Formulierungen im A 161 verzichten gänzlich auf unnötige, absolut formulierte Einschränkungen (beispielsweise des Kurvenradius oder der Vortriebskraft) und geben sogar Hinweise für die erforderlichen statischen Nachweise bei der Verwendung von alternativen, vom konventionellen Holzring abweichenden Druckübertragungsmitteln.
Statische Vortriebsbegleitung (Fugenüberwachungssysteme)
Auf dieser Grundlage konnten sich sogenannte Fugenüberwachungssysteme etablieren (beispielsweise CoJack aus dem Hause S&P), die inzwischen weit mehr leisten, als lediglich die Fugen zu überwachen. Vielmehr dienen diese Systeme als kontinuierliches statisches Kontrollinstrument während des Vortriebs zur Ermittlung der aktuellen Beanspruchung der Rohre und ermöglichen sogar eine sich ständig aktualisierende Prognose der in der Zukunft gerade noch zulässigen Steuerbewegungen und Vortriebskräfte.
Die Hardware von CoJack umfasst eine auf der Baustelle installierte Sensorik zur kontinuierlichen und lückenlosen Erfassung der wichtigsten Vortriebsdaten. In einem geschützten Bereich des Internets werden der Verlauf der Vortriebskraft und der Verlauf der tatsächlich aufgefahrenen Trassenkrümmung (planmäßige Kurven inkl. Steuerbewegungen) graphisch dargestellt. Die entsprechenden Diagramme enthalten auch die zugehörigen aktuellen Grenzwerte, die im Hintergrund über vortriebsbegleitende statische Berechnungen kontinuierlich bestätigt oder aktualisiert werden.
So kann der Betrachter stets auf den ersten Blick beurteilen, ob sich die aktuellen Vortriebsparameter im zulässigen Bereich befinden. Gefährliche Tendenzen lassen sich frühzeitig erkennen, so dass rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Diese Veranschaulichung der anderenfalls meist vollkommen unsichtbaren statischen Beanspruchungen der Rohre nutzen nicht nur Bauherren und Bauüberwacher als Kontrollinstrument. Auch die ausführenden Firmen haben inzwischen die Transparenz der Vortriebsdaten zu schätzen und sogar zu nutzen gelernt.
Sie können über CoJack die Einhaltung der zulässigen Rohrbeanspruchungen nachweisen und haben im Bedarfsfall eine statisch abgesicherte Grundlage, ihren Vortrieb zu optimieren. CoJack gibt Auskunft, ob bei Bedarf höhere Vortriebskräfte erlaubt sind oder mit welcher Kraft der Vortrieb nach einer zu starken Steuerbewegung sofort fortgesetzt werden darf. Dabei wird stets das in den Regelwerken vorgeschriebene Sicherheitsniveau eingehalten.
Einen Beitrag dazu leistet auch die optionale Messung und Darstellung der Vortriebskraft nicht nur an der Hauptpressstation, sondern auch an allen eingebauten Zwischenpressstationen. Dies funktioniert sogar dann, wenn die Dehner gar nicht aktiv genutzt und nur passiv mitgeschoben werden. Dazu muss der Dehner lediglich wenige Zentimeter ausgefahren sein, damit die beispielsweise von der Hauptpressstation aufgebrachte Vortriebskraft innerhalb des passiven Dehners über das Ölpolster übertragen wird (s. Abbildung 1).
Durch die Beobachtung des Kraftverlaufs lassen sich bei Bedarf Abschnitte der Vortriebsstrecke mit erhöhten Vortriebswiderständen lokalisieren. Eine Hilfe bei der Interpretation der Kraftdiagramme ist darüber hinaus die Darstellung des Verlaufs der Dehnerausfahrungen, die eine örtliche und zeitliche Zuordnung der Dehneraktivitäten erlaubt.
Schmier- und Vermessungssysteme
Wenn die Positionen oder die Teilabschnitte mit erhöhten Widerständen auf diese Weise lokalisiert sind, können moderne Schmiersysteme ganz gezielt die Füllung des Ringraums konditionieren. Nicht nur mit Augenmaß und Bauchgefühl, sondern auch volumenkontrolliert und/oder druckgesteuert kann an jeder Schmierstation (Position im Rohrstrang) oder sogar an jedem Schmierauslass eine definierte Menge des Gleit- und Stützmittels (Bentonit) in den Ringraum eingebracht werden.
Wenn die Verfüllung ausreichend langsam, d.h. mit ausreichend kleinen Durchflussmengen und -geschwindigkeiten vorgenommen wird, lässt sich sogar über den oberirdisch angeordneten Drucknehmer der Einpressdruck am Schmierauslass abschätzen.
Qualitätssteigernde Weiterentwicklungen waren in den vergangenen Jahren nicht nur in der Schmier- sondern auch in der Messtechnik zu verzeichnen. Zwar blieben die grundlegenden Techniken der Vermessung zur Maschinensteuerung mittels Laser oder Kreiselkompass gleich, aber die zugehörige Software hat sich in großen Schritten weiterentwickelt.
So lassen sich moderne Vermessungsanlagen inzwischen per Fernsteuerung einrichten, und eine Fernwartung aus dem Büro des Herstellers vermeidet unnötige Anfahrten. Der größte Vorteil besteht hierbei in der Reduzierung der Stillstandzeiten, die einerseits einen großen Kostenfaktor darstellen und anderseits zu technischen Problemen in Form von erhöhten Vortriebswiderständen beim Wiederanfahren führen können.
Darüber hinaus sind Software-Produkte auf dem Markt, die die im Arbeitsblatt DWA-A 125, Abschnitt 7.2.6 genannten Daten nicht nur regelwerkskonform tabellarisch in ausdruckbarer Form dokumentieren, sondern auch aufbereiten und in klar verständlicher Form online graphisch darstellen. CoJack deckt den statisch relevanten Anteil dieser Daten ab und stellt zusätzlich die Messdaten den zulässigen Daten graphisch gegenüber. Dies erlaubt auch demjenigen Betrachter die richtigen Rückschlüsse aus den Messdaten zu ziehen, der sich nicht unbedingt in die Feinheiten der Rohrstatik vertiefen will.
Derselbe Algorithmus erlaubt CoJack bereits im Rahmen der vor Vortriebsbeginn zu erstellenden Rohrstatik, die sehr weit auf der sicheren Seite liegenden Standardansätze des DWA-A 161 für Vortriebe mit mehreren Kurven zu umgehen, ohne die Bestimmungen des A 161 zu verletzen.
Wenn kein genauerer Nachweis geführt wird, muss laut dem Regelwerk ab der zweiten Kurve von einem stark vorbelasteten Druckübertragungsring ausgegangen werden, so dass die rechnerisch ermittelte zulässige Vortriebskraft häufig auf einen schmerzhaft niedrigen Wert sinkt. Ausnahmen sind bei der Verwendung genauerer Verfahren erlaubt.
Dazu gehört CoJack, das im vollen Einklang mit dem Regelwerk steht, aber meist – durch die intern vorgeschaltete Ermittlung einer vortriebsspezifischen Belastungshistorie – deutlich höhere Vortriebskräfte zulässt. Damit wird manchmal die zweite Kurve in der Streckenführung überhaupt erst möglich. Erfreulich ist dabei, dass die statische Sicherheit dadurch nicht sinkt, sondern durch die genauere Berechnung sogar steigt.
Alle bisher vorgestellten Systeme sind im weiteren Sinne als Software-Lösungen einzuordnen, deren Daten über eine ohnehin vorhandene oder über eine spezielle Messtechnik erfasst werden. Neben einer vielfach verbesserten Bedienbarkeit liefern sie eine automatische und detaillierte Dokumentation. Der wichtigste Aspekt ist aber die Erhöhung der Transparenz des Vortriebsgeschehens für alle am betreffenden Projekt beteiligten Personen, da die relevanten Daten meist online, weitgehend in Echtzeit über einen geschützten Bereich im Internet auf dem PC, dem Tablet oder Smartphone abrufbar sind.
Die hydraulische Fuge
Als reine Hardware-Produkte sind dagegen die neuesten Entwicklungen der Druckübertragungsmittel für die Vortriebskraftübertragung von Rohr zu Rohr einzuordnen. Ziel ist es, die auf einen heutigen Ingenieur eher anachronistisch wirkende Übertragung dynamischer Kräfte mittels einer „zerquetschten“ Spanplatte durch ein zeitgemäßes Verfahren zu ersetzen. Die meisten Produkte aus unterschiedlichen Werkstoffen scheiterten an ihrer Eignung oder an den Kosten und wurden bisher allenfalls vereinzelt in der Praxis eingesetzt.
Einzig die hydraulische Fuge gewinnt dagegen immer stärker an Bedeutung und ist nach der Überwindung von Kinderkrankheiten eine technische und vielfach auch wirtschaftliche Alternative, wenn man die im Vergleich zum Holzring höheren direkten Kosten für die Fuge selbst den indirekten Einsparungen (längere Rohre, höhere Vortriebskräfte, schnellere Montage, vielfältigere Möglichkeiten der Linienführung) gegenüberstellt.
Die Kraftübertragung erfolgt ganz elegant über ein im Hydraulikschlauch eingeschlossenes Wasserpolster. Da Flüssigkeiten die einzigartige Eigenschaft haben, an jeder Stelle und in jede Richtung denselben Druck auszuüben, werden die Rohrspiegel auch bei engen Kurven rundum mit demselben Druck belastet, der sich zudem recht einfach in Abhängigkeit von der Vortriebskraft berechnen lässt. Die Beanspruchung der Rohre ist somit
- gleichförmig ohne Spannungsspitzen,
- einfach und genau berechenbar und
- von der Fugenabwinklung (Kurvenfahrt) weitgehend unabhängig.
Darüber hinaus hat die hydraulische Fuge kein „Gedächtnis“ und wird im Gegensatz zum Holzring nicht durch eine ungünstige Belastungshistorie (z.B. hohe Spannungen in vorangegangenen Kurven) negativ beeinflusst. Da somit die statische Berechnung der Rohrbeanspruchungen weniger Unwägbarkeiten enthält, ist die Sicherheit bezüglich auftretender Überbeanspruchungen größer.
Neueste Entwicklungen bei der Schlauchkonfektionierung ermöglichen sogar eine technisch und wirtschaftlich interessante Doppelfunktion der hydraulischen Fuge (System TuSo HD-Dicht). In der Vortriebsphase hat der Schlauch die beschriebene Funktion als Druckübertragungsmittel. Nach Abschluss des Vortriebs in der Betriebsphase übernimmt der Schlauch auch bei Kurvenvortrieben falls gewünscht die Funktion des inneren Fugenverschlusses und erspart so den Einbau einer aufwändigen Stemmdichtung, die für jede Fuge nach Maß gefertigt und korrekt eingebaut werden müsste.
Der Hydraulikschlauch alleine stellt zwar aufgrund seiner Oberfläche und seiner Härte keine Dichtung dar, aber eine Ummantelung mit einem zusätzlichen Dichtungsschlauch aus weicherem Elastomer verhindert das Durchdringen des Abwassers. Seine Härte ist so optimiert, dass er einerseits über seine Wandung die Vortriebskräfte unbeschadet weiterleitet, aber andererseits sich so formschlüssig an die Betonoberfläche anschmiegt, dass er die Funktion als innerer Fugenverschluss (auch als Innendichtung bezeichnet) erfüllt.
Der notwendige Anpressdruck wird allein über die Vortriebskraft aufgebracht. Optional kann nachdem die Rohrleitung unverrückbar in den Schachtbauwerken eingebunden ist, ein definierter Druck in den HD-Schläuchen eingestellt und dokumentiert werden. Eine Druckkontrolle und Nachregulierung ist in definierten Zeitabständen möglich, um die Rohrhaltung auf ggf. auf veränderte Situationen einzustellen. Damit erhöht die entsprechend konditionierte hydraulische Fuge nicht nur die statische Sicherheit während des Vortriebs, sondern auch die Sicherheit bezüglich einer Korrosion des Druckübertragungsringes.
Darüber hinaus kann der Schlauch natürlich auch als inneres Widerlager für eine Hinterfüllung dienen. Dabei ist aber zu bedenken, dass das eingebrachte Verfüllmaterial je nach Steifigkeit mehr oder weniger die Gelenkigkeit der Rohrverbindung beeinträchtigt. Das Einbringen eines zementgebundenen Mörtels führt zu einer vollständigen Versteifung und somit zu einem unerwünscht starren Rohrstrang.
Jede kleine nachträgliche Bodenverschiebung beispielsweise infolge benachbarter Baumaßnahmen, Änderungen des Grundwasserspiegels oder Bergsenkungen führt zu unkontrollierten Schäden in Form von Rissen oder Abplatzungen an den Rohren, so dass der bereits selber dichtende Schlauch ohne Hinterfüllung die sicherere Lösung darstellt.
Zusammenfassung
In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Neu- und Weiterentwicklungen zu einer deutlichen Erhöhung der statischen Sicherheit im Bereich des Rohrvortriebs beigetragen, obwohl in den Ausschreibungen der Netzbetreiber die Anzahl der als schwierig einzustufenden Vortriebsstrecken zunimmt.
Die Bereitschaft zur Ausführung von Maßnahmen in schwierigem Baugrund, mit großen Längen und verwegenen Trassierungen mit S- und Raumkurven ist gestiegen. Unter Anwendung neuer Methoden des Monitorings, der Online-Statik, der Druckübertragung sowie verbesserter Verfahren der Schmierung und Vermessung werden diese Strecken in Kombination mit dem umfangreichen Erfahrungsschatz der Vortriebsfirmem häufig ohne größere Probleme gemeistert.
Art der Fuge | Holzfuge | Hydraulische Fuge und CoJack* | |
---|---|---|---|
Erforderliche statische Überwachung | ohne Überwachung | mit CoJack* | |
Gerade Strecke bzw. R > 500 x DA | L ≤ 100 m | L > 100 m | Nicht erforderlich |
Eine Kurve im Vortriebsverlauf | Nicht empfohlen | R > 150 x DA | R ≤ 150 x DA |
Mehrere Kurven im Vortriebsverlauf | Nicht empfohlen | R > 200 x DA | R ≤ 200 x DA |
* Statische Online-Überwachung
Die tiefgreifendsten Neuerungen, mit denen sich sowohl die Auftraggeber als auch die Baufirmen zunächst vertraut machen mussten, waren die Fugenüberwachungsprogramme (statische Überwachungssysteme) als Software und die Hydraulische Fuge als Hardware. Inzwischen haben sich diese zunächst argwöhnisch betrachteten Anwendungen weitgehend etabliert.
Aus der Tabelle 1 lässt sich ablesen, unter welchen Bedingungen die hydraulische Fuge für einen sicheren Vortrieb auf jeden Fall verwendet werden sollte und wann eine statische Vortriebsbegleitung (beispielsweise mit CoJack aus dem Hause S&P) ausreicht. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, inwieweit sich die von allen Seiten geschätzte Erhöhung der Transparenz bezüglich der Vortriebsdaten fortsetzen wird.
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