Zustandserfassung von Abwasserkanälen - wird die digitale Bildbe- und -verarbeitung Standard bei der Kanal-TV-Inspektion?

09.07.2007

Der Einsatz digitaler Bildbe- und –verarbeitung hält zunehmend Einzug in die optische Zustandserfassung von Kanalisationen. Weiter- und Neuentwicklungen der verschiedensten Inspektionssysteme ermöglichen auf Basis dieser Technik neue Anwendungsgebiete und neben qualitativen zunehmend auch quantitative Aussagen zum Zustand des Kanals. Die mit der Bilddigitalisierung verbundenen Vermessungsfunktionen eröffnen neue Möglichkeiten im Hinblick auf eine zuverlässige und realistische Zustandsprognose und -bewertung. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse einer Untersuchung an einem Inspektionssystem vorgestellt, welche die konventionelle (Kanalfernsehen) und die digitale Bildaufnahmetechnik kombiniert (sogenannte Hybridkamera).

Die Zustandserfassung und –bewertung besitzen im Rahmen der Instandhaltung von Entwässerungssystemen eine zentrale Bedeutung. Ihre Aufgabe ist die Bereitstellung von Daten und Informationen über deren Istzustand und insbesondere Schäden und deren Ursachen frühzeitig zu erkennen, um mit möglichst geringem Aufwand für Unterhalt und Sanierung ein in allen seinen Teilen funktionstüchtiges Entwässerungssystem in der geplanten Nutzungsdauer zu erhalten [1].

Darüber hinaus findet die Zustandserfassung auch Anwendung bei der
  • Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen
  • Abnahme von Sanierungs- und Neubaumaßnahmen nach Abschluss der Arbeiten
  • Abnahme von Sanierungsmaßnahmen vor Ablauf der Gewährleistungsfrist
  • Beweissicherung

Regel der Technik für die bauliche Zustandserfassung von Abwasserleitungen und -kanälen im Sinne der Mindestforderungen des Gesetzgebers ist die optische Inspektion.
Bei der Inspektion sind der Zustand des Systems sowie Art und Ausmaß von Schäden sorgfältig festzustellen und z.B. nach ATV-M 143-2 [2], DIN EN 13508-2 [3] oder anderen Kodier- bzw. Kürzelsystemen zu dokumentieren. Zur DIN EN 13508-2 "Kodiersystem für die optische Inspektion" [3] nicht konforme Regelungen zu Kodier-/ Kürzelsystemen sind bis Mai 2006 zurückzuziehen [4].
Für die optische Inneninspektion nichtbegehbarer Kanäle kommen heute fast ausschließlich zwei unterschiedliche Varianten des Kanalfernsehens zum Einsatz:
  • Kanalfernsehen auf Basis von Videokameratechnik (geregelt im ATV-M 143-2 [2]) [1, 5, 6]
  • Kanalfernsehen auf Basis von digitaler Fototechnik [7, 8, 9]
Seit September 2003 steht für die indirekte optische Zustandserfassung auf Basis der Videokameratechnik die RPP®DuoVision-Hybridkamera (Abb. 1) der Fa. RICO [10] zur Verfügung. RPP steht dabei für RICO-Picture-Processing und verbindet mit dieser Bezeichnung eine Technik in Anlehnung an die "industrielle Bildbe- und -verarbeitung" [11]. Hybrid bedeutet "gemischt, von zweierlei Herkunft, aus Verschiedenem zusammengesetzt" [12].
Nachfolgend werden zusammenfassend Ergebnisse einer von der Ingenieurgesellschaft Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum (S&P) im Auftrag des Herstellers RICO Gesellschaft für Mikroelektronik mbH, Kempten durchgeführten Untersuchung zur Überprüfung des Leistungsspektrums und der Einsatzbereiche dieses neuen Kamerasystems vorgestellt [13].
Beschreibung der Hybridkamera
Die RPP®DuoVision-Hybridkamera, nachfolgend Hybridkamera genannt, verfügt im Gegensatz zu herkömmlichen Kanal-TV-Kameras über einen Kamerakopf mit zwei Objektiven. Neben dem üblichen Zoomobjektiv befindet sich dort zusätzlich ein 180°-Fischaugenobjektiv (Abb. 2).
Während der (Inspektions-)Fahrt durch den Kanal, ausgehend vom Startschacht, erfolgt die Zustandserfassung nach konventioneller Vorgehensweise, d.h. nach dem Stop-and-Go-Prinzip werden ggf. vorhandene Einläufe/Abzweige, Rohrverbindungen/Muffen, Schäden etc. vom Geräteführer erfasst und im Inspektionsfahrzeug aufgezeichnet. Mittels Kamerakopfschwenks bzw. -rotationen und mit Hilfe der 10-fach Zoomfunktion werden bei Bedarf auch Details ausgeleuchtet und aufgenommen.
Ist der Zielschacht erreicht und die herkömmliche Inspektion beendet, wird das Fischaugenobjektiv aktiviert. Hierfür wird der Kamerakopf vom Geräteführer per Knopfdruck um 180° gedreht (vgl. Abb. 1) und das Fischaugenobjektiv in Axialstellung fixiert. Bei der sowieso erforderlichen Fahrt zurück zum Startschacht wird nochmals non-stop der bereits untersuchte Kanal entgegen der Fahrtrichtung aufgenommen und abgescannt. Aus diesen Aufnahmen wird dann mit der speziellen RPP®-Software die digitalisierte 2-D-Aufklappungsdarstellung ("Foldout") der kompletten Kanalinnenwand im Bildeinzugsrechner erzeugt.
Dem Geräteführer bzw. späteren Betrachter stehen am Ende der Inspektion somit zwei verschiedene, voneinander unabhängige Aufnahmen mit unterschiedlicher Aussagekraft über den Zustand des inspizierten Kanals zur Verfügung:
  • Das 10-fach-Zoomobjektiv erlaubt die perspektivische Ansicht des Kanals (S-VHS-Videoqualität oder als digitalisierte MPEG-Datei bzw. DIVX) und eine detailscharfe Aufnahme des baulichen Zustands sowie mit Hilfe des optischen Zooms auch den Blick in z.B. Einläufe/Abzweige, Schächte etc. (Abb. 3).
  • Das Fischaugenobjektiv liefert mit der Aufklappung (Foldout) eine Übersicht über die gesamte Haltung und ergänzende Informationen zur Kontrolle der perspektivischen Aufnahmen. Zusätzlich kann auf dem Foldout per Mausklick eine Vermessung von Schäden und Objekten (unter Beachtung der nennweitenabhängigen Genauigkeitstoleranzen durch die Bilddigitalisierung) vorgenommen werden (Abb. 4).
Diese Aufnahmen werden dem Betreiber bzw. Auftraggeber i.d.R. als Datei auf einer CD-ROM zur Verfügung gestellt und mit der Software "KEP-Betrachter" (Viewer) visualisiert. Darüber hinaus sind weitere Informationen wie z.B. Grund- bzw. Stammdaten der inspizierten Kanalhaltung sowie Bedienfunktionen enthalten.

Abb. 3 zeigt beispielhaft eine Ansicht des Viewers mit gewähltem Menüfeld "Filme" für die ausschließlich perspektivische Ansicht des Kanals. Diese bietet eine vergrößerte Darstellung (Vollbild) der perspektivischen Innenansicht des Kanals im Menüfeld "Aufklappung" (vgl. Abb. 4).
Die Aktivierung der Schaltfläche "Aufklappung" bietet die ausführlichste Ansicht (Abb. 4). Das Monitorbild zeigt die perspektivische Innenansicht des Kanals (mittig) und die dazugehörige, synchronisierte Aufklappung (unten). Die Aufklappung der kompletten Haltung befindet sich zur Übersicht rechts oben auf dem Bildschirm. Schadens- und Objektvermessungen sind hier ausschließlich auf der ggf. digital vergrößerten, unteren Aufklappung (max. 4-fach digitaler Zoom) möglich.
Ergänzt wird das System um das automatische Abschwenken von Rohrverbindungen mit dem um 360° um die eigene Achse rotierenden 10-fach-Zoom-Objektiv. Die mit diesem sog. "Muffen-Radialscan" verbundene automatische Bilderkennung ("Muffenmosaicing") erzeugt neben einer Aufklappung im BMP-Format, auf der mittels Mausklick Distanz- und Flächenvermessungen möglich sind, eine sog. Muffenstatistik, welche wichtige Informationen über die Muffenspaltbreite und ggf. deren Entwicklung ("Muffenspalthistorie") bietet (Abb. 5).
Wahlweise kann hier vom Geräteführer eingestellt werden, ob der Radialscan nur als digitales, aufgeklapptes Bild (Abb. 5), als reiner Film in perspektivischer Ansicht oder in beiden Versionen gespeichert werden soll. Im Sinne einer ganzheitlichen Inspektion mit maximalem Informationsgehalt ist die letztgenannte Variante mit beiden Darstellungsmodi zu empfehlen.
Weitere optional verfügbare Vermessungsfunktionen sind [10]:
  • Vermessung von Distanzen, Flächen, einragenden Stutzen, Füllstand im Kanal, Verformungen/Ovalisierung nach Bilddigitalisierung des durch das 10-fach-Zoom-Objektiv aufgenommenen Films in perspektivischer Ansicht
  • Verformungsmessung nach dem Verfahren der Laser-Triangulation über die Abtastung der Rohrinnenwand mit einem vom Kamerakopf ausgesandten Laserstrahl (vgl. Abb. 1)
  • Quer- und Längsneigungsmessung über zwei im Fahrwagen installierte Inklinometer

Die Hybridkamera wird nach Herstellerangaben [10] im Nennweitenbereich von DN/ID 200 bis 1400 bei Kreisquerschnitten und entsprechenden Größenordnungen bei anderen Querschnittsformen wie z.B. Ei-, Maul- oder Rechteckprofilen eingesetzt.
Untersuchungen
Am 08.09.2005 wurden In-situ-Inspektionen in einer Wohn-/Industriestraße der Stadt Kempten/Allgäu durchgeführt. Dabei wurden mit einer in einem Vorführinspektionsfahrzeug (Abb. 6) installierten Hybridkamera ein Steinzeugkanal DN/ID 500 mit 58,77 m Haltungslänge sowie ein Betonkanal DN/ID 600 mit 59,70 m Haltungslänge inspiziert.
Eine erneute Testbefahrung eines Betonkanals DN/ID 500 mit 57,01 m Haltungslänge fand am 04.05.2006 in Münster durch die Koch + Geist GmbH statt. Diese war zusätzlich notwendig geworden, um nach Behebung eines von S&P festgestellten Fehlers bei der automatischen Muffenspaltvermessung "Muffen-Radialscan" durch die Fa. RICO speziell diese Funktion erneut zu überprüfen.
Wesentliche Schwerpunkte der Untersuchungen bestanden darin, von der Hybridkamera aufgenommene Zustandsbilder (Schadensbilder, Anlagenteile und Phänomene) der inspizierten Kanäle bezüglich der Bildqualität bzw. -schärfe und des Informationsgehaltes zu beurteilen. Dabei wurde insbesondere auf die Vermessungsmöglichkeiten auf der Aufklappungsansicht und deren Genauigkeit bzw. Toleranz eingegangen.
Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen waren nicht Gegenstand der Untersuchungen.
Untersuchungsergebnisse
In den folgenden Abschnitten werden beispielhaft die Aufnahme einer "Rohrverbindung" mittels "Muffen-Radialscan" sowie die Analysen und Vermessungsfunktionen anhand des Zustandsbildes "Riss" vorgestellt.
Rohrverbindung
Abb. 7 zeigt die Detailaufnahme einer Rohrverbindung in einem Betonkanal DN/ID 500, welche mit der speziellen Hybridkamera-Funktion "Muffen-Radialscan" aufgenommen wurde und im Viewer im Menüfeld "Radialscan" (vgl. a. Abb. 5) als Aufklappung dargestellt wird.
Mit Hilfe der Vermessungsfunktion wurde auf der Aufklappung durch Fadenkreuze eine händische Vermessung durchgeführt. Dadurch sollte die während des "Muffen-Radialscans" erzeugte Muffenstatistik, welche in Abb. 5 dargestellt ist, analysiert werden, um Aufschluss über die Breite der Rohrverbindung bzw. des Fugenspaltes sowie den Zustand der Rohrverbindung im Hinblick auf Schäden, Undichtigkeiten etc. zu erhalten.
Abb. 7a-c zeigen die Aufnahme des Zustandsbildes "Rohrverbindung" in einem Betonkanal DN/ID 500 (Radialscan der Muffe als digitale Zoomansicht als Bildausschnitte aus dem Viewer, vgl. a. Abb. 5)
Die automatische Muffenspaltvermessung ergab für die Muffenstatistik folgende Werte (s. Kasten "Radial Scan Info" in Abb. 5): Mittelwert (5 mm), Standardabweichung (5 mm), Minimalwert (0 mm), Maximalwert (11 mm) und Detektion (32% bezogen auf den Umfang).
Die beispielhaft per Mausklick auf den digital gezoomten Aufklappungsausschnitten der Rohrverbindung (Abb. 7 a und b) vermessenen Muffenspaltbreiten lieferten einen Wert von 8,57 mm für den linken Kämpfer bzw. 3,06 mm für den Scheitel und liegen somit im bei der Muffenstatistik angegebenen Toleranzbereich (s. Kasten "Radial Scan Info" in Abb. 5). Diese Toleranzen waren im vorliegenden Fall auf die Struktur der Betonrohre in der Rohrverbindung (Grate in den Stirnflächen), verlege- und fertigungsbedingte Toleranzen (Abwinkelungen, Geradheit der Stirnflächen) zurückzuführen. Beim "Muffenmosaicing" wurden mittels automatischer Bilderkennung deshalb auch nur 32% der Rohrverbindung als Muffenspalt erkannt, aus diesen Werten wurde ein Mittelwert für die Breite von 5 mm ermittelt (s. Kasten "Radial Scan Info" in Abb. 5). Ein Wert, der unter Beachtung der geschilderten Randbedingungen als realistisch angesehen werden kann.
Es ist jedoch anzumerken, dass in diesem Fall die Aussagekraft der Muffenstatistik sehr eingeschränkt ist. So kann z.B. der ggf. mit Ablagerungen versehene bzw. häufig mit Abwasser benetzte Bereich in der Rohrsohle auf Grund der fehlenden Farbkontraste (automatischer "Hell-Dunkel-Abgleich") im Muffenspalt nicht erfolgreich abgetastet werden. Außerdem führt eine Überblendung des Bildes, welches insbesondere im mit Wasser benetzten Bereich der Rohrsohle auftritt (Abb. 7c), zu den o.g. Fehlerauswirkungen und dem geringen Detektionsgrad im digitalen Bild.
Fazit: Die im Zuge der Bilddigitalisierung durch automatische Bilderkennung erstellte Muffenstatistik ist nur in vollem Umfang aussagefähig und nutzbar, wenn der untersuchte Kanal kein Restwasser führt, sorgfältig von Ablagerungen und sonstigen Anhaftungen gereinigt ist und Rohrverbindungskonturen glatt und gleichmäßig sind. Die zentrische Position der Hybridkamera ist Voraussetzung für die Genauigkeit der auf der Aufklappung ermittelten Werte (Distanzen, Muffenstatistik).

Darüber hinaus bedarf der Einsatz der Funktion "Muffen-Radialscan" einer vorherigen Schulung des Geräteführers, da für eine gute Qualität der Rohrverbindungsaufnahmen insbesondere die ggf. manuell abgestimmten Lichtverhältnisse im Kanal maßgeblich sind. Liegen z.B. eine zu große Helligkeit durch Überblendung und/oder reflektierende Oberflächen an der Rohrwand vor, so entstehen infolge dieser Überstrahlung Fehler im digitalisierten Bild, da diese Bereiche als "weiß" erkannt und abgetastet werden. Um diese bei Vorhandensein zu vermeiden, steht dem Geräteführer in der Kanalerfassungssoftware eine Zusatzfunktion zur Festlegung des Scanbereiches vor Aktivierung des Muffenschwenks zur Verfügung.
Längsriss
Abb. 8 zeigt ein Beispiel für das Zustandsbild "Rissbildung" bzw. "Riss" in einem Betonkanal DN/ID 600 (Bildausschnitte aus dem Viewer).

Die Aufklappung (Abb. 8 b) lässt den im Scheitel existierenden Längsriss und die durch diesen ausgetretenen Kalkablagerungen bzw. Versinterungen durch den vorliegenden Farbkontrast sofort erkennen. Ebenfalls sind im rechten Kämpfer bzw. im unteren Drittel der Aufklappung in Abb. 8 b weitere Rissbildungen auszumachen, welche jedoch auf Grund der fehlenden Weißfärbung schwerer zu erkennen sind und folglich auch fälschlicherweise für Kratzspuren gehalten werden könnten. Auf die Risse im linken Kämpferbereich des Kanals wird nachfolgend nicht näher eingegangen.
Bei näherem Hinsehen durch einen Kameraschwenk (Abb. 8 a) kann der Riss im Scheitel näher untersucht werden. Er ist lang und nur von geringer Breite und erscheint durch die teilweise stark ausgeprägten, weißen Versinterungen entlang der Rissränder jedoch größer, als er tatsächlich ist.
Die Risslänge kann auf der Aufklappung relativ einfach vermessen werden (Abb. 8 b). Es wurde im vorliegenden Anwendungsfall eine Risslänge von 1505,93 mm gemessen.
Die Rissbreite des Längsrisses im Scheitelbereich des Kanals kann hingegen, da sie zu gering ist, nicht mit den Fadenkreuzen abgegriffen und bestimmt werden (allein die Strichdicke der Fadenkreuze ist hier schon um ein Vielfaches größer). Abb. 8 c zeigt die daraufhin gewählte Ansicht der Aufklappung nach Aktivierung des 4-fach digitalen Zooms, welche bei diesem Zoomfaktor bereits einen hohen "Verpixelungsgrad" aufweist. Der Riss ist nur konturenhaft zu erkennen. Dementsprechend kann mit den beiden Fadenkreuzen die tatsächliche Rissbreite auch nicht exakt abgesteckt werden. Die Rissbreite wurde auf diesem Bild, welches bei dieser Vergrößerung ein Platzieren der Fadenkreuze erlaubt, mit 3,68 mm ermittelt. Ein Wert, der angesichts der Rissausprägung in der perspektivischen Ansicht dem erfahrenen Betrachter zu hoch erscheint.
Messgenauigkeit auf der Aufklappung
Die Messgenauigkeit auf der Aufklappung (s. Abb. 4 unten) ist in erster Linie abhängig vom Auflösungsvermögen der Kamera und der nachfolgenden Bilddigitalisierung durch den Analog-Digital-Wandler (Quantisierungsfehler) [10].
Für die Erzeugung der Aufklappung (Foldout) wird aus dem digitalisierten Bild ein Kreisring abgetastet, dessen Auflösung einstellbar ist und bei der Hybridkamera standardmäßig 512 Pixel über den gesamten Kreisumfang beträgt [10].

Die erreichbare Auflösung (Größe der darstellbaren Bildpunkte – Pixel) über den Umfang der Rohrinnenwand und damit auch im Foldout ist auf Grund dieses Zusammenhangs abhängig von der vorliegenden Rohrnennweite DN/ID (lichter Innendurchmesser). Die Auflösung der Aufklappung errechnet sich zu: (DN/ID × p) / 512 [mm] und nimmt mit steigender Nennweite entsprechend ab. Für DN/ID 500 beträgt die max. mögliche Auflösung (Pixelgröße) beispielsweise 3,07 mm (vgl. Tabelle 1, Spalten 1 und 2) [10].
Spalte 1Spalte 2Spalte 3
Rohrnennweite DN/IDMax. mögliche Auflösung (Pixelgröße) bzw. absoluter Messfehler1), wenn Objekt/Schaden < 1 Pixelgröße[mm]Mindestabmessung Objekt/Schaden2)[mm]
200 1,23 6
300 1,84 9
400 2,45 12
500 3,07 15
600 3,68 18
700 4,30 22
800 4,91 25
900 5,52 28
1000 6,14 31
1) Absoluter Messfehler: Max. mögliche Auflösung = (DN/ID × p) / 512 [mm]
2) Errechnet durch: Absoluter Messfehler / 0,2; auf ganze Millimeter auf- bzw. abgerundet, wobei 0,2 der zulässige relative Messfehler ist (entspricht 20%)
Tabelle 1: Erreichbare Auflösung auf der Aufklappung (Foldout) der Hybridkamera in Abhängigkeit von der Rohrnennweite für die Standardeinstellung 512 Pixel/Rohrumfang nach Herstellerangaben [10] sowie nennweitenabhängige Mindestabmessungen von Objekten/Schäden für eine realitätsnahe Vermessung mit akzeptabler Genauigkeitsangabe (Empfehlungen Stein & Partner)
Dadurch, dass im vorliegenden Fall ein Pixel die kleinste sichtbare und somit auch vermessbare Einheit auf der digitalisierten Aufklappung darstellt (Abb. 9), sind sowohl die Bildauflösung (und damit die örtliche Abtastrate) als auch die Größe der im Pixel gespeicherten Informationen (etwa die Farbtiefe) bei digitalisierten Bildern begrenzt, wobei ein Pixel nur eine Annäherung der Wirklichkeit ist. Diese Begrenztheit der Auflösung (vgl. Tabelle 1, Spalte 2) führt dazu, dass Bildinformationen verloren gehen.
Aus der Darstellung im Abb. 9 wird deutlich, dass Objekte bzw. Schäden (insbesondere Rissbreiten), deren Abmessungen kleiner sind als ein Pixel, in letzter Konsequenz nur "unklar", d.h. mit verschwommenen Konturen bzw. fehlender Kontrastschärfe in den Pixel-Übergangsbereichen, auf der digital vergrößerten Aufklappung dargestellt werden können.
Eine Vermessung von sehr geringen Distanzen macht in diesem Bereich folglich keinen Sinn, da der gemessene bzw. mit den Fadenkreuzen abgegriffene Wert u.U. nicht die tatsächlichen Verhältnisse widerspiegelt und dabei sehr große Messtoleranzen bzw. -fehler aufweisen kann.
Dieser Effekt soll beispielhaft am o.g. Fall des in Abb. 8 bzw. Abb. 9 dargestellten Risses erläutert werden:

Dabei wird davon ausgegangen, dass die tatsächliche Breite des Risses an einer ganz bestimmten, genauer betrachteten Stelle im Betonrohr DN/ID 600 2,00 mm beträgt. Die Abmessung eines quadratischen Pixels ist mathematisch zu 3,68 mm x 3,68 mm ermittelt worden (s. Tabelle 1). Nun wird der Fall angenommen, dass sich der dünne Riss auf dem digitalisierten Bild an dieser Stelle genau im Bereich einer Pixelbreite befindet. Durch den ebenfalls vorausgesetzten Schwarz-Weiß-Kontrast (weiß soll der Strich/Riss sein, schwarz der Hintergrund/Rohrwand) wird folglich der Riss über genau eine Pixelbreite mit hellem Kontrast dargestellt und dementsprechend mit 3,68 mm vermessen. In einem zweiten Fall wird die Hypothese aufgestellt, dass sich der Riss genau im Übergangsbereich zweier Pixel befindet, d.h. beide Pixel würden jeweils über die Breite bzw. Höhe mit einem dunkleren Weiß bzw. hellen Grauton entsprechend den Riss abbilden. Jetzt würde man diesen auf 2 x 3,68 mm = 7,36 mm messen. Der absolute Messfehler beträgt bezogen auf eine Pixelbreite also +3,68 mm.
Würde die Rissbreite jetzt z.B. mit 5,00 mm, d.h. größer als ein Pixel, angenommen, beträgt der absolute Messfehler entsprechend 3 Pixel - 2 Pixel = 1 Pixel, d.h. auch 3,68 mm.
Bezogen auf den tatsächlichen Wert von 2,00 mm bzw. 5,00 mm bedeutet dies einen relativen Messfehler von 3,68 mm/2,00 mm = 1,84 oder 184% bzw. für den 2. Wert 3,68 mm/5 mm = 0,74 oder 74%. Insbesondere aus dem ersten, sehr hohen Wert wird ersichtlich, dass die Genauigkeit der Vermessung bei sehr kleinen Abmessungen zu keinem sinnvollen bzw. akzeptablem Ergebnis führen kann, erst recht nicht, wenn die Breite des Kratzers oder eines Risses noch kleiner ist als oben angenommen.
Demgegenüber stellt die Vermessung von Risslängen im Hinblick auf die Genauigkeit kein Problem dar. Würde der Riss auf der Aufklappung mit einer Länge von 1506 mm vermessen (Abb. 8 b), so würde der relative Messfehler hingegen nur 3,68 mm/1506 mm= 0,0024 oder 0,24% betragen und somit in einem akzeptablen Bereich liegen.
Dieses Beispiel zeigt, dass bei Anwendung der Vermessungsfunktion auf der Aufklappung immer auch die Unsicherheit bzw. die Genauigkeit der Vermessung kritisch hinterfragt werden muss. Dies gilt, wie oben gezeigt, insbesondere bei sehr kleinen Abmessungen, speziell Rissbreiten, die kleiner als die erreichbare Auflösung bzw. darstellbare Pixelgröße sind. Hier stößt die Vermessung nennweitenabhängig an nicht mehr tolerierbare Genauigkeitsgrenzen.
Um hier dem Anwender, insbesondere bei der Rissbreitenbestimmung, eine Hilfestellung zu geben, ab wann die Vermessungsfunktion auf der digitalisierten Aufklappung der Hybridkamera sinnvoll und mit hinreichender Genauigkeit eingesetzt werden kann, wurde von S&P die Spalte 3 in Tabelle 1 erstellt. Bei der Ermittlung der nennweitenabhängigen Mindestobjekt-/Schadensabmessungen wurde davon ausgegangen, dass ein relativer Messfehler von 20% insbesondere zur Rissbreitenvermessung in einem vertretbaren Bereich liegt und demnach zu einem akzeptablen Messergebnis führt.
Das oben geschilderte Phänomen der "Verpixelung" ist bei extremem Zoom bei jedem digitalisierten Bild in Abhängigkeit von vorliegender Auflösung und gewähltem Zoomfaktor erkennbar.
Fazit: Der auf der Aufklappung mit 4-fach digitalem Zoom „gemessene“ Wert von 3,68 mm (Abb. 8 c) entspricht bei der hier vorliegenden Rohrnennweite von DN/ID 600 mathematisch genau einer Pixelbreite (vgl. Tabelle 1, Spalte 2), d.h. der maximal erreichbaren Auflösung, und stellt somit die kleinste sichtbare bzw. messbare Einheit (Genauigkeitsgrenze) dar. In diesem Fall hilft die Vermessungsfunktion auf der Aufklappung nicht weiter, da auf Grund der Informationsverluste aus der Digitalisierung der Aufklappung und der daraus resultierenden Effekte, große Ungenauigkeiten bei der Wertangabe berücksichtigt werden müssen (vgl. Tabelle 1, Spalte 3).
Die Rissbreite konnte im vorliegenden Anwendungsfall nur auf Basis der durch das 10-fach-Zoomobjektiv aufgenommenen Bilder in der perspektivischen Ansicht auf etwa 1 mm geschätzt werden.
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Hybridkamera erstmals die Stärken einer konventionellen Dreh-/Schwenkkopfkamera mit optischem 10-fach Zoom für die perspektivische Detailansicht in einer hohen Bildqualität und -auflösung mit den Vorteilen der hiervon unabhängigen, digital be- und -verarbeiteten Aufnahmen des Fischaugenobjektivs in Form einer Aufklappung kombiniert.
Die Vorteile der digitalen Bildbe- und –verarbeitung liegen generell darin, dass die digitalen Bildinformationen beliebig verändert ("manipuliert") werden können, im Falle der Aufklappung wird z.B. von einem ursprünglichen 3-D-Bild eine komplette 2-D-Ansicht des Kanals erzeugt, welche zusätzlich über die einzelnen Bildpunkte (Pixel) Vermessungen ermöglicht.
Diese Technik besitzt jedoch auch Grenzen, an denen die gelieferten Ergebnisse insbesondere bezüglich der Vermessungsgenauigkeit kritisch hinterfragt werden müssen. Darüber hinaus können durch Signalumwandlung und Datenkomprimierung Artefakte entstehen.
Digitalisierte Bilder ermöglichen im Hinblick auf die Reproduzierbarkeit von Daten, genauere Quantifizierung von Schäden (insbesondere Rissbreiten), Archivierung, Plausibilitätskontrollen nach Mehrfachinspektionen, Substanzprognosen, Sanierungsplanung etc. Vorteile, die herkömmliche Kamerasysteme allein nicht bieten können.
Es zeichnet sich ab, dass die digitale Bildbe- und -verarbeitung bei der Inspektion von Abwasserleitungen und -kanälen nicht mehr aufzuhalten ist und bereits als Standardtechnik angesehen werden kann. Sie spiegelt den generellen Trend der Zeit und den technischen Fortschrittswillen der Hersteller wider. Langfristig werden die "alten" Systeme entweder mit dieser neuen Technik kombiniert, wie im Fall der Hybridkamera geschehen, oder gar komplett durch volldigitale Inspektionssysteme ersetzt werden. Mit welcher Intensität und Geschwindigkeit dieser Entwicklungsprozess Einzug in die Zustandserfassung von Kanalisationen hält, entscheiden der Anwender und sein Interesse bzw. seine Ansprüche an hochwertige und aussagekräftige Inspektionsdaten.
Trotz der zunehmenden "Digitalisierung" der Zustandserfassung von Abwasserleitungen und –kanälen ist der Geräteführer (Inspekteur) nach wie vor ein wichtiger Einflussfaktor, um, trotz vielfach vorhandener Automatiken, mittels manueller Feinjustierung (z.B. Helligkeitsregelung) in Abhängigkeit der Verhältnisse eine optimale Bildqualität und Aussagekraft der Aufnahmen zu erreichen.
Literatur

[1] Stein, D.: Instandhaltung von Kanalisationen. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Ernst & Sohn, Berlin 1998.

[2] ATV-M 143: Teil 1: Inspektion, Instandsetzung, Sanierung und Erneuerung von Entwässerungskanälen und -leitungen - Grundlagen (12.1989). Teil 2: Inspektion, Instandsetzung, Sanierung und Erneuerung von Abwasserkanälen und -leitungen - Optische Inspektion (04.1999).

[3] DIN EN 13508: Zustandserfassung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden. Teil 1: Allgemeine Anforderungen (02.2004). Teil 2: Kodiersystem für die optische Inspektion (09.2003).

[4] Keding, M.: Zustandsbeurteilung von Entwässerungssystemen nach DWA-M 149. KA - Abwasser, Abfall 52 (2005), Nr. 6, S. 719–724.

[5] Stein, D., Körkemeyer, K.: Entwicklungen bei der TV-Inspektion von Abwasserkanälen. Beitrag zur 36. Essener Tagung vom 26. bis 28. März 2003 in Aachen.

[6] Stein, R.: Trends und Entwicklungen der Zustandserfassung. bi umweltbau (2004), H. 3, S. 64–72.

[7] Hunger, W.: Optische Kanalinspektion mit Panoramo. Beitrag 12. Europäisches Wasser-, Abwasser- und Abfall-Symposium "TV-Inspektion für Betrieb und Instandhaltung (EWA)" am 14. Mai 2002 im Rahmen der IFAT 2002 in München.

[8] Stein, D., Körkemeyer, K., Brauer, A.: Vergleichende Analyse des neuartigen PANORAMO-Inspektionssystems mit den Standardverfahren zur Inspektion von Abwasserleitungen und -kanälen am Beispiel des ARGUS 4-Kamerasystems. Expertise der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum im Auftrag der IBAK Helmut Hunger GmbH & Co. KG, Kiel. Bochum, Mai 2004 (veröffentlicht unter www.unitracc.de, kostenlose Registrierung für Einsicht erforderlich).

[9] Stein, D., Brauer, A., Broziewski, A.: Optische Zustandserfassung von Kanalisationen - volldigital oder analog? KA - Abwasser, Abfall 2005 (52), Nr. 3, S. 259–268.

[10] Firmeninformation RICO Gesellschaft für Mikroelektronik mbH, Kempten.

[11] Hinn, A. K.: Die industrielle Bildauswertung und -verarbeitung im Kanal. In: Rohrleitungen - Für eine sich wandelnde Gesellschaft. Schriftenreihe aus dem Institut für Rohrleitungsbau Oldenburg, Band 30, S. 702-706. Vulkan-Verlag, Essen 2006.

[12] Drosdowski, G.: Das Große Fremdwörterbuch. Dudenverlag, Mannheim 1994.

[13] Stein, D., Stein, R., Brauer, A.: Untersuchung und Beurteilung des Leistungsspektrums sowie der Einsatzbereiche der RPP®DuoVision-Hybridkamera. Expertise der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH, Bochum im Auftrag der RICO Gesellschaft für Mikroelektronik mbH, Kempten. Bochum, Mai 2006.

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