Große Differenzen über Dichtheitsprüfung privater Abwasserkanäle
24.01.2013
Inspektion » Dichtheitsprüfung
Auf großes Interesse von Bürgerinnen und Bürgern traf die Anhörung über die Dichtheitsprüfung privater Abwasserleitungen. Der federführende Umweltausschuss (Vorsitz Friedhelm Ortgies, CDU) und der Kommunalausschuss (Vorsitz Christian Dahm, SPD) hörten Fachleute aus Verwaltung, Technik- und Umweltbereich. Schwerpunkte waren die Fragen nach Ursache, Wirkung und Verhältnismäßigkeit der Mittel.
Zwischen 70 und 80 Prozent der geprüften Leitungen seien undicht, 15 bis 20 Prozent stark beschädigt und damit sanierungsbedürftig, erläuterten Christoph Ontyd (Stadtentwässerung GmbH Herne), Manfred Müller (Entsorgungsbetriebe Solingen) und Claus Externbrink (Abwasserbeseitigung Lünen). Diese Zahlen wurden in der weiteren Anhörung grundsätzlich auch nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr ging es um die Frage, ob und welche Gefahren von ihnen ausgingen.
So verwies Prof. Dr. Martin Exner (Uni Bonn) auf mikrobiologische Risiken und neue, vergleichsweise resistente Krankheitserreger, die schon in wesentlich geringerer Konzentration gefährlich sein könnten. Hinzu kämen chemisch-physikalische Risiken, also Stoffe, die die Natur nicht kenne.
Mit Blick auf die hohe Zahl an undichten Leitungen sei es nicht nachvollziehbar, dass es in NRW eine exzellente Trinkwasserqualität gebe, entgegnete Prof. Dr.-Ing. Hartmut Hepcke (Fachhochschule Münster). Dies bestätige eine Vielzahl von Messdaten. Außerdem sei die Restverschmutzung, die trotz 99prozentiger Reinigung aus den Kläranlagen flöße, deutlich höher als die Schadstoffmenge aus undichten privaten Abwasserleitungen. Viele Medikamentenrückstände ließen sich in Kläranlagen nicht abbauen. Es seien auch keine Untersuchungen bekannt, die Verunreinigungen des Grundwassers durch undichte Abwasserkanäle nachgewiesen hätten, so Volker Steffen (Interessengemeinschaft Haus & Grund Oberberg). Bestimmte giftige Stoffe seien in privaten Abwasserkanälen aber um ein Vielfaches höher als in Kläranlagen, widersprach Prof. Dr. Johannes Weinig (Fachhochschule Bielefeld).
Unterschiedliche Einschätzungen gab es auch bezüglich der zu veranschlagenden Kosten: So rechneten Steffen und Bernd Ahlers (Bürgerinitiative "Alles dicht in Nordwalde) bei der überwiegenden Zahl der betroffenen Häuser mit Überprüfungskosten von deutlich über 1.000 Euro und Sanierungskosten im fünfstelligen Bereich (durchschnittlich 12.000 Euro). Im ländlichen Raum könnten aufgrund gewachsener Grundstücksgrößen die Kosten sogar noch deutlich höher liegen, meinten Svenja Beckmann (Grundbesitzerverband NRW) und Dr. Bernd Lüttgens (Rheinischer Landwirtschaftsverband).
Detlef Raphael (Städtetag NRW) und Dr. Peter Queitsch (Städte- und Gemeindebund NRW) sahen hingegen bei der Kanalüberprüfung zwischen 300 und 500 Euro sowie bei der Sanierung 3.000 bis 5.000 Euro als realistisch an. Dabei würden die Kommunen Grundstückseigentümer nicht alleine lassen, verwiesen beide auf entsprechende Beratungs- und Förderprogramme. Eine Aufrüstung der Kläranlagen würde pro Kubikmeter aufbereiteten Wassers Mehrkosten von 40 Cent bedeuten, so Prof. Weinig. Umgelegt auf die Lebensdauer der Abwasserkanäle bedeute deren Sanierung dagegen nur Mehrkosten von 15 Cent pro Kubikmeter Wasser. Ein funktionierender Abwasserkanal vermeide Folgekosten und stelle daher auch eine Werterhaltung der Immobilie dar, so Frank Diederich (Verband der unabhängigen Sachkundigen für Dichtheitsprüfungen von Abwasseranlagen).
Vorbeugend oder auf Verdacht?
Einen weiteren Schwerpunkt der Anhörung bildete die Frage, ob man gemäß dem Vorsorgegrundsatz vorbeugend oder erst bei begründetem Verdacht handeln solle. "Wenn man von einem Verdacht weiß, ist es in der Regel schon zu spät", meinte Queitsch. Prof. Dr. Peter Nisipeanu (Schwerte) ergänzte: "Betreiben ist aktives Tun." Die Bürgerinnen und Bürger müssten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und ihre Kanäle regelmäßig überprüfen. Ansonsten bestehe bei den heute geltenden Regelungen im Schadenfall die Gefahr einer Haftung ohne Verschulden. In der Hälfte aller Kommunen endeten die privaten Kanäle und damit die private Unterhaltungspflicht an der Grundstücksgrenze, in der anderen Hälfte allerdings erst am Anschluss an den Hauptkanal in der Straßenmitte, erläuterte Queitsch. Hier solle es einheitliche Lösungen geben, forderte Müller.
Vor einer "Dichtheitsprüfung durch die Hintertür" warnte Erik Uwe Amaya (Haus & Grund NRW) mit Blick auf den vorliegenden Gesetzentwurf von SPD und Grünen. Dieser wahre nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Trotz unterschiedlicher Gegebenheiten in NRW werde durch den von den Regierungsfraktionen propagierten Ansatz "alles über einen Kamm geschert", meinte auch Volker Steffen. Beide betonten: Am Ende müssten möglicherweise die Gerichte entscheiden. Die unterschiedlichen Verfahren, die der Gesetzentwurf von SPD und GRÜNEN beinhalte, biete eine breite Front für Rechtsstreitigkeiten, meinte auch Prof. Hepcke.
Wenn eine Gefährdung gegeben sei, dürfe es weder eine Fristenlösung noch eine Unterteilung in Häuser innerhalb und außerhalb von Wasserschutzgebieten geben, meinte dagegen Dr. Manfred Dümmer (BUND NRW). So gesehen seien weder die von CDU und FDP noch die von SPD und GRÜNEN vorgesehen Regelungen in Übereinstimmung mit dem Besorgnisgrundsatz. Grundwasser kenne keine Grenzen, daher sei jedermann zu Wasserschutz verpflichtet, pflichtete Dr. Michaela Schmitz (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft) ihm bei.
Für ein regelmäßiges Monitoring sprachen sich Dr. Olaf Kaufmann (Verband der Rohr- und Kanal-Technik-Unternehmen e.V.) sowie Roland W. Waniek (Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH) aus. Es sei gut, zu wissen, wie das öffentliche und private Kanalnetz aussehe und ob es funktionsfähig sei.
(Text: Christoph Weißkirchen)
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