Nachruf Prof. Dr.-Ing. Dietrich Stein
26.08.2024
In tiefer Trauer geben wir bekannt, dass unser Gründer und Gesellschafter Prof. Dr.-Ing. Dietrich Stein im Alter von 85 Jahren verstorben ist.
Es ist seiner visionären Kraft, seinem ingenieurmäßigen Genius und seinem unerschütterlichen Glauben an die Bedeutung des eigenen Handelns zu verdanken, dass er sich nicht an Leit- und Lehrmeinungen hielt, sondern die Dinge hinterfragte, um sie für die Gesellschaft zu verbessern. Er war derjenige, der auf den besorgniserregenden Zustand der Kanalisationsnetze aufmerksam machte und gegen erhebliche politische und akademische Widerstände in die Öffentlichkeit brachte. Siehe auch „Ursachen von Undichtigkeiten und Möglichkeiten ihrer Behebung", Quelle: Bericht der Abwassertechnische Vereinigung e.V. No.37 (1986).
Sein Erfolg, die Bedeutung von Einrichtungen zur Abwassersammlung und Abwasserableitung für den Umwelt- und Gewässerschutz genauso wie für die Sicherheit der Funktionsfähigkeit der modernen Industriegesellschaft in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu stellen, bildete die Grundlage für die Entwicklung eines heute Milliarden schweren Dienstleistungsbereiches für die Instandhaltung von Kanalisationen. Die Überwindung der vielen Skeptiker und der Aufbau dieser Branche gelang durch eine akademische Lebensleistung, die nur als außergewöhnlich betrachtet werden kann. Prof. Stein schuf mit seinen Fachbüchern „Instandhaltung von Kanalisationen“ 1.-4. Auflage, „Der begehbare Leitungsgang“, „Leitungstunnelbau“, „Grabenloser Leitungsbau“, „Horizontal Directional Drilling (HDD)“, 52 Buchbeiträgen, 189 Publikationen, 274 wissenschaftlichen Vorträgen und Hunderten von Studien und Gutachten die Wissens- und Verständnisgrundlage der Branche und ist damit untrennbar mit dem Leitungsbau und der Leitungsinstandhaltung verbunden.
Mit der Einrichtung des Lehr- und Forschungsbereiches „Bau- und Instandhaltung von Ver- und Entsorgungsleitungen“ zunächst mit dem Schwerpunkt „Kanalisationstechnik“ an der Ruhr-Universität Bochum gelang es Prof. Stein erstmalig, diese Disziplin in der Hochschullandschaft der Bundesrepublik Deutschland zu etablieren. Sein diesbezügliches Engagement wurde durch seine Berufung im Jahre 1991 als Universitäts-Professor und Leiter der Arbeitsgruppe „Leitungsbau und Leitungsinstandhaltung“ bestätigt.
Seine Tätigkeit war fortwährend geprägt durch umfangreiche Kooperationen und enge Zusammenarbeit mit der Industrie bspw. durch die Entwicklung und Prüfung von Bau- und Sanierungsverfahren, die Abwicklung von Bauaufgaben bis hin zur Entwicklung von Rohren aller Werkstoffe, als Vereidigter Sachverständiger der Industrie- und Handelskammer zu Bochum und nicht zuletzt seit 1994 als Gesellschafter eines Ingenieurbüros mit seinem Namen. Prof. Stein ist es gelungen, viele seiner Mitarbeitenden dauerhaft an dieses Büro zu binden. Diese personelle Stabilität mit einer förderlichen Symbiose jüngerer und älterer, erfahrener und zugleich engagierter Mitarbeitender ist maßgeblich verantwortlich, dass unter seiner Leitung ein leistungsstarkes Team von derzeit über 60 Beschäftigten mit Spezialisten in allen Disziplinen des Leitungsbaus und der Leitungsinstandhaltung entstehen konnte.
An dem beträchtlichen Anteil der derzeitigen Kanalsanierungsprogramme an der gesamten Bauleistung in Deutschland mit Investitionsprogrammen in Milliardenhöhe hat seine Grundlagenarbeit nicht unmaßgeblichen Anteil. Im Jahr 1989 wurde dank der Initiative von Prof. Stein ein neuer Förderschwerpunkt „Technologien zur Sanierung undichter Kanäle“ des Bundesministeriums für Forschung und Technologie mit der Zielstellung eingerichtet, leistungsfähige Verfahren zur Schadenserfassung und Schadensbehebung in undichten Kanalisationen zu entwickeln. Dadurch konnten die verschiedenen Interessen der Kommunen, Industrie und Forschungseinrichtungen in Deutschland vereint und auf die Lösung von technischen Problemen sowie der Realisierung von Patenten und Lizenzen gerichtet werden.
Prof. Stein war maßgeblicher Initiator des Instituts für Kanalisationstechnik (IKT, ein An-Institut an der Ruhr-Universität Bochum mit Sitz in Gelsenkirchen) und stand ihm seit dessen Gründung im Jahr 1994 zunächst als Geschäftsführer und bis 2000 als Institutionsdirektor vor. Hier war Prof. Stein wesentlich daran beteiligt, in der Trägerschaft die führende Bauindustrie, Abwasserverbände der Region, Rohrhersteller, Kanalsanierer, die Stadt Gelsenkirchen und die Hochschule mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen zu einer wirkungsvollen Allianz zusammenzuführen.
Immer offen für neue Entwicklungen hat sich Prof. Stein nie mit dem Erreichten zufrieden gegeben. Seine Mitarbeitenden hat er mit seinen Ideen und seinem Enthusiasmus inspiriert. Von den Studierenden wurde seine intensive Durchdringung von Forschung und Lehre begeistert aufgenommen. Jährlich hat Prof. Stein eine Vielzahl von Diplom- und Studienarbeiten betreut und war bei 19 Dissertationen Referent und bei vielen Korreferent. Studenten und Doktoranden wissen dieses persönliche Engagement zu würdigen.
Mit gleichem Enthusiasmus war er bestrebt, seine Erkenntnisse und Forschungsergebnisse an bereits im Beruf stehende Ingenieure weiterzugeben, aber auch in Normen und Regelwerke einzubringen, um so ihre Umsetzung zu ermöglichen. Seit 1984 leitete er die ATV-Arbeitsgruppe „Sanierung und Erneuerung von Abwasserkanälen und –leitungen“, bis für dieses Thema, auch dank seines Engagements, im Jahre 1999 ein neuer Fachausschuss ES 8 mit ihm als Obmann und insgesamt 8 Arbeitsgruppen gegründet wurde. Unter seiner Leitung und Mitwirkung wurden zudem zahlreiche nationale und europäische Normen und Richtlinien erarbeitet. Besondere Beachtung in der Fachwelt und Praxis findet die DWA Merkblattreihe M 143, mit insgesamt 20 Merkblättern.
Seine wissenschaftliche Wertschätzung fand darüber hinaus Widerhall in seiner Berufung in zahlreiche Ausschüsse und Gremien der Wirtschaft und Fachvereinigungen sowie Ehrenämter. Beispiele hierfür sind:
- Vice President of the International Society for Trenchless Technology (ISTT, London) und Leiter der Working Group „Utility Corridors” der ISTT
- Leiter des Arbeitskreises „Forschung und Entwicklung“ der Deutschen Gesellschaft für Grabenloses Bauen und Instandhalten von Leitungen (GSTT, Hamburg)
- Mitglied der Expertenkommission Kanalisationstechnik NRW, ernannt durch das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen
- Mitglied der Projektgruppe „Boden und Grundwassergefährdung durch Baustoffe - Analyse, Bewertung“ des Deutschen Instituts für Bautechnik, Berlin
- Mitglied des Direktoriums des Institutes für Berg- und Energierecht an der Ruhr-Universität Bochum
- Mitglied der AGI Arbeitsgemeinschaft Industriebau e.V., Arbeitskreis „Kanalsanierung“, Gründungs- und Vorstandsmitglied Güteschutz Kanalbau e.V. (bis April 1996)
- Vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie benanntes deutsches Mitglied in der COST-Aktion C3 „Bewertung städtischer Infrastrukturnetze“
Deutscher Vertreter im Europäischen Komitee für Normung (CEN/TC 165 /WG 22 (Drain and Sewer Systems Outside Buildings)
Mitglied des Editorial Board der Fachzeitschrift „Trenchless Technologie Research“
Mitglied in zahlreichen Komitees zur Vorbereitung und Durchführung nationaler und internationaler Fachkongresse und Symposien
Vom Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MUNLV) benanntes Mitglied in der Agenda 21 NRW, Kernarbeitsgruppe „Klimaschutz und nachhaltige Mobilität“
Mitglied im Beirat der VpA-Wasserwirtschaft
Eine besondere Auszeichnung für Prof. Stein war die Beauftragung seines Ingenieurbüros zur Begleitung und Unterstützung des Staatlichen Umweltamtes des Landes Nordrhein -Westfalen bei der Prüfung und Bewertung der Konzepte zum Betrieb und zur Instandhaltung des 55 km langen „Abwasserkanals Emscher“ im Hinblick auf die Entsorgungssicherheit. Dieses Jahrhundertprojekt der Emschergenossenschaft war auch im internationalen Vergleich ein Bauwerk mit ungewöhnlichen Dimensionen.
Prof. Stein war eine der immer seltener werdenden Integrationsfiguren an der Ruhr-Universität Bochum gleichermaßen wie in seinem Ingenieurbüro und hat im Laufe seines Berufslebens Initiativen und Strategien auf den Weg gebracht, die noch bis weit in die Zukunft Bestand haben werden.
Seine Mitarbeitenden schätzten insbesondere seine Fachkompetenz, seine Geradlinigkeit bei Entscheidungen und seinen umfassenden Rat. Er galt unter ihnen als nie erreichtes Vorbild, wenn es darum ging, zu formulieren und technische Zusammenhänge präzise darzustellen. Aber nicht nur sein fachliches Engagement ist in diesem Sinne hervorzuheben: Oberste Prinzipien waren für ihn ein gut funktionierendes, produktives Team und uneingeschränkte Freude an der Aufgabe.
Prof. Stein war Wissenschaftler mit Ideen und Tatkraft und gleichzeitig ein hervorragender Lehrer im Hörsaal. Eine seiner bemerkenswertesten Fähigkeiten war jedoch das Erkennen von erprobten, jedoch vergessenen Abwassertechniken aus der Zeit des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, und deren Modifikation und Umsetzung mit den ökologischen Anforderungen des 21. Jahrhunderts zu richtungsweisenden Entwicklungen. Mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im Jahr 1999 wurden insbesondere diese Fähigkeit sowie seine Verdienste bei der internationalen Anerkennung der deutschen Abwassertechnik, der Förderung der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit und der Integration der ostdeutschen Abwassertechnik gewürdigt.
Sein Wirken war geprägt von der unermüdlichen Suche nach Fortschritt und Innovationen im Bereich der städtischen Infrastruktur und der globalen Betrachtung des Leitungsbaus und der Leitungsinstandhaltung. Hierbei richtet sich sein Augenmerk insbesondere auf die Mehrfachverlegung von Ver- und Entsorgungsleitungen und den gemeinsamen Betrieb und Unterhalt aller Ver- und Entsorgungsnetze. In diesem Zusammenhang und auf Basis eines von ihm geleiteten Verbundforschungsvorhabens entstand das Fachbuch „Der begehbare Leitungsgang“ als Anregung für alle Ingenieure und Netzbetreiber, die Alternativen zur konventionellen Leitungsverlegung suchen. Das Buch wurde im Jahr 2023 in die chinesische Sprache übersetzt.
Von seiner letzten, interdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsarbeit zur Entlastung unserer Straßennetze und zur Lösung inner- und überbetrieblicher Logistikaufgaben durch automatisierte Stückguttransporte über unterirdische Fahrrohrleitungen (CargoCap) ist ein wichtiger Beitrag zum erforderlichen Strukturwandel urbaner Ballungsräume zu erwarten. Das innovative, im interdisziplinären Verbund mit Ökonomen, Juristen und Ingenieuren entwickelte CargoCap-System bietet sowohl beim Bau als auch beim Betrieb dieser Anlagen weitreichendes Entwicklungspotential für die beteiligte Industrie. Auch wenn bis heute CargoCap keine Praxisanwendung gefunden hat, so ist das Thema dennoch so bedeutsam, das CargoCap bei den vereinten Nationen in Genf und im deutschen Pavillon „Future City“ auf der Expo in Dubai vorgestellt wurde.
Mit dem Tod von Prof. Stein verliert die Fachwelt ihren Initiator und Wegbereiter für den Bau und Erhalt unserer im Zeitalter des Klimawandels immer bedeutsamer werdenden Infrastrukturanlagen. Wir haben ihm viel zu verdanken und werden sein Andenken in Ehren halten.
Robert Stein
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