Nanotechnologie säubert verschmutztes Wasser
10.09.2010
Kasseler Oberbürgermeister Hilgen ruft zu Spenden für Wasseraufbereitungsanlagen auf.
Stadt und Universität Kassel haben am Montag, 6. September, eine bundesweit bislang beispiellose Hilfsaktion zur Rettung der Menschen in den pakistanischen Überschwemmungsgebieten gestartet. Unter dem Motto „Paul für Pakistan – Kassel hilft“ rief Oberbürgermeister Bertram Hilgen die Bürgerinnen und Bürger zu Spenden auf. Das Geld dient dem Bau tragbarer Wasseraufbereitungsanlagen, die von Wissenschaftlern der Uni entwickelt wurden, und insbesondere für den Einsatz in entlegenen und von der Außenwelt abgeschnittenen Dörfern geeignet sind. Eine der von den Forschern kurz „Paul“ genannten Einheiten ist in der Lage rund 200 Menschen über Monate mit trinkbarem Wasser zu versorgen.
"Der Wasserrucksack ist ein weiteres Beispiel für den innovativen Geist und die breite technologische Kompetenz unserer Universität. Mit dieser flexibel einsetzbaren Technik können im Katastrophenfall praktische Hilfe vor Ort geleistet und viele Menschenleben gerettet werden“, sagte Oberbürgermeister Bertram Hilgen beim Startschuss des Projekts. Die gemeinsame Initiative von Stadt und Universität verfolge zwei Ziele: Einerseits sollen durch Spenden jetzt möglichst viele Einheiten gefertigt werden, damit sie in den Notstandsgebieten Pakistans eingesetzt und ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen können. Zum anderen sollen Hilfsorganisationen und Unternehmen auf die Wasserrucksäcke aufmerksam gemacht werden, damit in Zukunft größere Stückzahlen bereit stehen, um sie im Notfall schnell an ihren Einsatzort zu bringen, so der Kasseler OB weiter.
Mit Hilfe der Organisation Humanity Care wurden in der vergangenen Woche bereits fünf der wie ein Rucksack tragbaren Anlagen nach Pakistan gebracht. 18 weitere „Pauls“ sind im Bau. Sie sollen in den nächsten Tagen mit einer NATO-Maschine nach Pakistan geflogen werden. Mitarbeiter von Humanity Care werden die Wasseraufbereitungsanlagen in Empfang nehmen und über das Land verteilen. „Selbst bei unserem hoch entwickelten europäischen Trinkwasserversorgungsnetz können starke Regenfälle und Überschwemmungen schlimme Auswirkungen haben“, sagte Prof. Dr. Franz-Bernd Frechen vom Fachgebiet Siedlungswasserwirtschaft der Uni: „Gefährliche Krankheitserreger wie Coli-Bakterien und andere Keime dringen in Brunnen und Leitungsnetze ein.“ Vor dem Hintergrund der verheerenden Überschwemmungen in Pakistan sei zu befürchten, dass Millionen Menschen dort noch auf Monate hinaus ohne sauberes Trinkwasser sein werden.
Aufgrund eines Hilfeaufrufs in einer lokalen Tageszeitung sind bislang rund 13.000 Euro zusammengekommen. Für den Bau weiterer Wasserrucksäcke sind aber mehr Spenden nötig. „Das Projekt ´Kassel hilft´ sollte in der Lage sein, die Lücke zu füllen und weitere zu finanzieren“, sagte Frechen. Die Herstellung einer Einheit kostet rund 1.000 Euro. Die Mitarbeiter der Uni fertigen „Paul“ derzeit zum Selbstkostenpreis. Ein gewerblicher Partner, der die Aufbereitungsanlagen in Serie produziert, wird noch gesucht. Dann könnten die Herstellungskosten nochmals deutlich sinken.
Hilfsorganisationen setzen bei Naturkatastrophen vor allem auf große mobile Anlagen, die pro Tag gewaltige Mengen Trinkwasser aufbereiten können. Für die Versorgung großer Flüchtlingslager ist diese Strategie von Vorteil. Bei der Versorgung entlegener oder durch eine Überschwemmung isolierter Ortschaften stößt sie dagegen an Grenzen.
"Wir haben uns Gedanken gemacht, wie Gegenden versorgt werden können, zu denen keine passierbare Straße mehr führt, in denen es weder Strom noch Treibstoff gibt, die für den Betrieb einer konventionellen Aufbereitungsanlage nötig sind", erklärt Prof. Frechen. Die Lösung fanden die Forscher mit Hilfe der Nanotechnologie. Sie entwickelten eine rucksackgroße Wasseraufbereitungsanlage, deren Herzstück ein Modul mit Membranen ist. Die Membrane verfügen über mikroskopisch kleine Öffnungen in Nanogröße, die Wassermoleküle durchlassen, Bakterien und Parasiten aber wirksam aus dem Wasser herausfiltern. Das schützt vor Erkrankungen wie Cholera und anderen Infektionskrankheiten, die vor allem für Kinder eine tödliche Gefahr darstellen.
"Diese Technik ist einfach und wirksam", betont Frechen: "Ein Gerät kann mehrere hundert Menschen mit sauberem Wasser versorgen." Im Dauerbetrieb ist der Wasserrucksack in der Lage, pro Tag 1.200 Liter Wasser zu filtern. Mitarbeiter der Fachgebiete Leichtbau und Siedlungswasserwirtschaft haben in den vergangenen Tagen zwei Varianten von „Paul“ gebaut, eine Kunststoffvariante von mit einem Gewicht von 20 Kilogramm und eine Ausführung in Edelstahl, die rund 30 Kilogramm schwer ist. Aufgrund seines Gewichts kann „Paul“ von Trägern oder von Lasttieren selbst in Dörfer transportiert werden, zu denen keine Straßen mehr existieren. Auch das Absetzen vom Hubschrauber aus ist möglich. Der Hubschrauber muss nicht einmal landen.
Für Spendengelder, die den Bau weiterer Wasserrucksäcke „Paul“ unterstützen und damit Hunderten von Menschen in Pakistan das Leben retten, ist ein Sonderkonto eingerichtet: Förderverein Siedlungswasserwirtschaft, Kasseler Sparkasse, BLZ: 520 503 53, Kontonr.: 13 96 09, Stichwort: Kassel hilft.
Weitere Informationen bei der Uni Kassel, Fachgebiet Siedlungswasserwirtschaft, Prof. Dr. Franz-Bernd Frechen, Tel (0561) 804 2795, e-mail frechen(at)uni-kassel.de
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