Leitungsbau im Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Sichere Netze baut man nicht mit dem Rotstift
30.10.2015
Die sichere Versorgung mit Wasser, Gas, Fernwärme und Strom ist ebenso Grundlage unserer Gesellschaft, wie der Zugang zum Internet Basis für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist.
Um die hiesigen Netze funktionstüchtig zu erhalten und so eine gleichbleibend hohe Sicherheit der Versorgung sowie Netzzuverlässigkeit zu garantieren, müssten Kommunen ihr Anlagevermögen mit einer Rate von 1,5 bis 2% pro Jahr erneuern. Auf Basis dieser Rate ließe sich ein Netz innerhalb einer Dauer von 50 Jahren – der kalkulatorischen Nutzungsdauer von Anlagen – komplett erneuern. Tatsächlich aber wird nicht annähernd genug investiert, um die bestehende Substanz zu erhalten; für den in Teilen notwendigen Ausbau des Netzes z. B. im Bereich der Strom- und Breitbandversorgung müssen weitere Mittel bereitgestellt werden.
Als ein ganz wesentliches Hemmnis bei der Investition in Strom- und Gasnetze erweist sich die von der Bundesnetzagentur seit 2009 angewendete Anreizregulierung von Strom- und Gasnetzbetreibern. Um sinkende Gewinne zu kompensieren, reduzieren Stadtwerke und Versorgungsunternehmen ihre Investitionen. Die Folgen der Sparsamkeit sind gravierend, und sie machen sich sowohl bei der Auswahl der mit Leitungsbauarbeiten beauftragten Unternehmen bemerkbar als auch, mit Verspätung, bei den Netzkunden.
Aus Regulierung wird Druck
Gerade um die Investitionsbereitschaft der Strom- und Gasversorgungsunternehmen ist es seit Inkrafttreten der Anreizregulierung schlecht bestellt. In ihrer jetzigen Form führt die Regulierung zu einer Reihe von negativen Effekten, infolge derer nicht nur der für die Energiewende notwendige Ausbau des Stromnetzes ins Schleppen gerät, sondern auch die nachhaltige Zuverlässigkeit des vorhandenen Netzes infrage gestellt ist. Um ausbleibende Gewinne zu kompensieren, sparen Netzbetreiber an anderer Stelle. Da sich lang- und mittelfristig beeinflussbare Kostenbestandteile bestenfalls bedingt dazu eignen, die Kosten zu drücken, geraten vor allem kurzfristig beeinflussbare Kostenbestandteile ins Visier der Buchhaltung.
Den rigiden Sparkurs, den sich die Versorgungsunternehmen verordnet haben, bekommen auch deren Dienstleister zu spüren: Das produzierende Gewerbe ist an einem Punkt angelangt, an dem das Material kein weiteres Potenzial für Einsparungen bietet. Auch auf die Unternehmen der Leitungsbaubranche schlägt der Kostendruck voll durch.
Laut Zahlen, die das Statistische Bundesamt 2014 zum Beispiel zu den Auswirkungen der Anreizregulierung auf die Investitionsbereitschaft der Versorgungsunternehmen im Gasbereich veröffentlicht hat, sind die Investitionen von knapp 3500 Mill. EUR im Spitzenjahr 1993 auf etwas mehr als 500 Mill. EUR im Jahr 2013 zurückgefahren worden.
Der rbv und die Bundesfachabteilung Leitungsbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. begrüßen deshalb die geplante Novelle der Anreizregulierungsverordnung. Diese stammt noch aus einer Zeit vor dem Beschluss der Energiewende und ist nicht mehr geeignet, die damit verbundenen Herausforderungen regulatorisch sachgerecht abzubilden. Zur Novellierung der Anreizregulierung hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im März des Jahres ein Eckpunktepapier vorgelegt. Jedoch ist aus Sicht der Leitungsbauunternehmen mit den im Eckpunktepapier enthaltenen Vorschlägen das Ziel, innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für die Modernisierung der Verteilnetze Strom zu schaffen, nicht zu erreichen.
Die Verbände schließen sich den bereits von Verteilnetzbetreibern und ihren Verbändevertretungen geäußerten Bedenken gegen die im Eckpunktepapier vorgeschlagenen Maßnahmen an. Insbesondere berücksichtigt das Papier nicht die Einführung der Investitionskostendifferenz, welche die Leitungsbauer mit Blick auf die Verstetigung der Investitionen über sämtliche Jahre der Regulierung und zur Aufhebung des Fotojahreseffektes fordern.
Mit dieser kurzfristig umsetzbaren Lösung kann der Zeitverzug für sämtliche Netzinvestitionen unter Beibehaltung des Effizienzvergleichs behoben werden – Fehlanreize für Unterinvestitionen würden so beseitigt, Investitionsanreize geschaffen und der Regulierungsrahmen vereinfacht. Zudem würden die Planungssicherheit und Verlässlichkeit sowohl für Netzbetreiber als auch die ausführenden Unternehmen im Leitungsbau steigen. Investitionssicherheit sowie schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren – für den Leitungsbau ist dies die Grundlage, auf der Unternehmen die Leistungsstärke sicherstellen können, die zur Umsetzung der Energiewende erforderlich ist.
Qualität gibt es nicht zum Discountpreis
Neben der generellen Zurückhaltung von Netzbetreibern bei Investitionen macht sich auch der Sparzwang in der Branche immer stärker bemerkbar. Die Absicht der Versorgungsunternehmen, für größtmögliche Transparenz zu sorgen und in Zeiten sinkender Erlöse Kosten weitestgehend zu reduzieren, können der rbv und seine Mitglieder zwar nachvollziehen. Allerdings sieht der Verband die Notwendigkeit für einen kontinuierlichen Dialog darüber, was erforderlich ist, damit Einsparungen nicht zu Lasten von Ausführungsqualität und nachhaltiger, zuverlässiger Versorgung geschehen.
Aus diesem Grund hat im Juli ein erstes Gespräch zwischen Vertretern der Leitungsbauunternehmen, der sie vertretenden Verbände und der Thüga stattgefunden. Die Thüga Aktiengesellschaft ist heute Kern des deutschlandweit größten Netzwerkes kommunaler Energie- und Wasserdienstleister, die gesellschaftlich miteinander verbunden sind. Die Thüga ist an rund 100 Unternehmen in 12 Bundesländern beteiligt, von denen eine Vielzahl als Partner-Unternehmen das Thüga-Standardleistungsverzeichnis (Thüga-StLV) nutzen, um ihre Investitionen zu optimieren. Weitere Zusammenkünfte zur Vertiefung des Dialoges sind geplant.
Eine Lösung, die aus der Warte des Kaufmanns recht und billig erscheint, muss technisch noch lange nicht gut sein. Der Qualitätsanspruch, den die Mitgliedsunternehmen des Rohrleitungsbauverbandes e. V. an ihre eigene Arbeit stellen und der in den Zertifikaten und Gütezeichen DVGW 301/302, AGFW FW 601, RAL GZ 961 und RAL GZ 962 zum Ausdruck kommt, hat seinen Preis. Der kommt nicht von ungefähr, denn die hohe Qualität der Ausführung, für welche die Gütesiegel der rbv-Mitgliedsunternehmen stehen, lässt sich nur mit Belegschaften erreichen, in deren Aus- und Weiterbildung konsequent investiert wird.
Auf der einen Seite der Anspruch der Auftraggeber, Kosten zu minimieren oder komplett einzusparen, auf der anderen Seite die Anforderung, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten, die auch zukünftig zu einer sicheren Versorgung beiträgt – eine Gemengelage, welche die Unternehmen des Leitungsbaus von mehreren Seiten unter zunehmenden Kostendruck setzt. Die Folge: Wo Ausschreibungen nicht mehr auskömmlich sind, bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als am Personal zu sparen – sei es an der Stärke der eigenen Belegschaft oder an den Bemühungen, deren technisches Know-how auf dem aktuellen Stand zu halten.
Irgendwann bekommt auch der Netzkunde die Folgen des Sparzwangs zu spüren – wenn auch mit einiger Verzögerung. Die Qualität der Versorgung sinkt, und wenn dringend fällige Arbeiten tatsächlich beauftragt werden, werden sich der fortschreitende Personalabbau und der damit einhergehende Kompetenzverlust bei Netzbetreibern und Rohrleitungsbauunternehmen schmerzlich bemerkbar machen. Sollen nachhaltige Lösungen entstehen, ist nicht nur die Höhe der Investition entscheidend, sondern auch der richtige Zeitpunkt.
Breitband: lieber schnell oder nachhaltig?
Die Frage der Nachhaltigkeit stellt sich auch mit Blick auf den Ausbau des hiesigen Breitbandnetzes. Der ist bisher eher zögerlich vorangetrieben worden, soll jetzt aber deutlich an Tempo gewinnen – jedenfalls sehen das die jüngsten Pläne von Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, vor. Allerdings will der Minister auf dem Weg in die Zukunft auf eine Technik setzen, die als überholt gilt: Das sogenannte Vectoring, mit dem sich der Datendurchsatz bestehender Kupferkabel verbessern lässt, eignet sich laut Ansicht von Experten lediglich als Übergangstechnologie – langfristig wettbewerbsfähig ist nur die Glasfasertechnologie.
Der Haken: Sie ist vergleichsweise teuer, und ihre Verlegung nimmt mehr Zeit in Anspruch als die von Dobrindt ins Auge gefasste Ertüchtigung des Kupferkabels. Im Klartext: Die Technik des Vectorings mag technisch nicht up to date sein, spart aber Zeit und Geld – jedenfalls auf kurze Sicht, und die ist insofern von Bedeutung, als die Pläne des Ministeriums vorsehen, Deutschland bis zum Jahr 2018 flächendeckend mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde schnellem Breitband zu versorgen.
Was aber ist nach dem Stichtag? Es geht nicht darum, die schnelle Breitbandanbindung schnellstmöglich zu schaffen, sondern die zuverlässige Versorgung damit dauerhaft sicherzustellen. Alles andere ist zu kurz gedacht – nicht zuletzt mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, die zunehmend auch eine Frage des schnellen Datenaustauschs ist.
Blick für Qualität und Nachhaltigkeit schärfen
Eine der wesentlichen Forderungen des rbv lautet deshalb, bei Bau, Ausbau und Erhalt der Versorgungsnetze nicht auf rein kaufmännische Aspekte zu fokussieren, sondern den Blick für Qualität in der Ausführung zu schärfen und diesen Faktor ausdrücklich ins Kalkül einzubeziehen. Welcher Aufwand ist nötig, um die Netzsubstanz langfristig zu bewahren, wie lassen sich die zur Verfügung stehenden Mittel möglichst effizient einsetzen? Antworten auf Fragen wie diese kann die Buchhaltung allein nicht zufriedenstellend beantworten – gefordert ist vielmehr eine gemeinsame Diskussionsgrundlage, anhand derer Techniker und Kaufleute gemeinsam die Auswirkungen verschiedener Szenarien auf Netzzustand und Gebührenentwicklung darstellen können.
Pflicht der Politik ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die zur Verstetigung der Investitionen führen. Nur so lassen sich Investitionsstaus und die daraus resultierenden gravierenden Folgen für die Versorgungssicherheit auflösen. Bleibt die Anreizregulierung in ihrer derzeitigen Form bestehen und hält die mangelnde Bereitschaft zu Investitionen an, werden wir uns wohl an Stromausfälle gewöhnen müssen, die nicht nur bei extremen Wetterlagen auftreten. Und falls der dringend erforderliche Ausbau des Breitbandnetzes weiterhin schleppend oder gar nicht geschieht, werden die negativen Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht lange auf sich warten lassen. Anders gesagt: Nachhaltig sichere Versorgungsnetze baut man nicht mit dem Rotstift – diese Botschaft muss in den Köpfen der Entscheider ankommen, ansonsten droht irgendwann ein böses Erwachen.
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