Überraschungen im Untergrund

16.10.2019

Richtige Entscheidung: Bergmännischer Stollenvortrieb in Dresden

Im Dresdner Untergrund ist derzeit viel Bewegung: Seit ein paar Jahren wird der über 100 Jahre alte Altstädter Abfangkanal komplett saniert. Dieser Kanal ist eine der wichtigsten Hauptadern Dresdens und transportiert das gesamte Abwasser aus dem Dresdner Osten, aus Pirna und Heidenau zur Kläranlage Kaditz.

Für die komplette Sanierung des Abfangkanals griffen die Verantwortlichen bei der Stadtentwässerung Dresden GmbH dabei auf die unterschiedlichsten Sanierungs- und Erneuerungsverfahren zurück. Einen besonderen Sanierungsabschnitt stellte dabei der rund 50 Meter lange Abschnitt im Kreuzungsbereich Tolkewitzer Straße / Wehlener Straße dar. Hier wird ein Teilstück des alten, aus Ortbeton hergestellten Kanals mit Haubenprofil DN 1500/1700 mit GFK-Rohren DN 2000 in einer neuen Trasse neben dem Altkanal ersetzt.

Bei der Auswahl eines geeigneten Bauverfahrens entschieden sich die Stadtentwässerung Dresden GmbH (SEDD) als Auftraggeber und die Planer des Ingenieurbüros ACI-Aquaproject Consult nach intensiven Überlegungen für den bergmännischen Stollenvortrieb. Dabei gab das mögliche Baugrundrisiko, auf vermutete Hindernisse zu stoßen, den entscheidenden Ausschlag. Und nachdem die Mitarbeiter der Heinrich Wassermann GmbH & Co. KG aus Köln während der Vortriebsarbeiten tatsächlich auf eine in aktuellen Plänen nicht verzeichnete, alte Trinkwasserleitung inklusive Schiebereinrichtung und Betonwiderlager, die nach ihrer Außerbetriebnahme noch zu DDR-Zeiten im Boden verblieben war, stießen, zeigte sich der bergmännische Stollenvortrieb als die wirtschaftlich richtige Wahl.

Insgesamt war das Projekt eine große Herausforderung hinsichtlich Ausschreibung, Bauüberwachung und Durchführung, der sich die Mitglieder des Güteschutz Kanalbau – SEDD, ACI und Heinrich Wassermann – erfolgreich im Sinne der Gütesicherung stellten.

Nadelöhr mit besonderen Herausforderungen

Die stark befahrene Straßenkreuzung Tolkewitzer und Wehlener Straße ist inklusive Straßenbahnverkehr ein verkehrssensibles Nadelöhr und verlangte von allen Beteiligten ein genau durchdachtes Konzept für den Sanierungsabschnitt. Jegliche Störung der Verkehrsströme wäre an diesem Verkehrsknotenpunkt für alle eine große Herausforderung mit erheblichen Zeit- und Kostenaufwendungen gewesen.

Als bauliche Vorabmaßnahmen wurden die angrenzenden Kanalabschnitte zunächst in offener Bauweise hergestellt und provisorisch mit dem Altkanal verbunden. Sobald der nun im bergmännischen Vortrieb mit anschließender Verlegung der GFK-Rohre DN 2000 zu erstellende Abschnitt fertig ist, wird der alte Abfangkanal außer Betrieb genommen. „Und dies ist in diesem Jahr noch unser erklärtes Ziel“, betont Techniker Heiko Nytsch, Teamleiter Investition/Anschlusswesen bei der Stadtentwässerung Dresden GmbH.

Hierfür gebe es gute Gründe: Zum einen bestehe die Gefahr, dass der Altstädter Abfangkanal mit seinen knapp einhundert Jahren aufgrund des baulichen Zustandes kollabieren und zum anderen die hydraulische Leistung problematisch werden könne.

Ein weiterer Grund sei, dass das spezielle Reinigungskonzept mit dem eigens entwickelten Stauwagensystem in dem Bereich derzeit nicht zum Einsatz komme. Dies sei darin begründet, dass die unterschiedlichen Sohlenlagen des alten Abfangkanals und der bereits sanierten Kanalabschnitte die technische Umsetzung der Reinigung nicht zulasse. Somit komme es aktuell im Überleitungsbereich vom neuem in den alten Kanalabschnitt vermehrt zu Ablagerungen und Geruchsbelästigungen.

Richtige Entscheidung

Bei den Planungen zu dem Sanierungskonzept wurde die Erneuerung in offener Bauweise nach genauer Betrachtung der verkehrstechnischen Randbedingungen vor Ort als Möglichkeit ausgeschlossen. Nytsch: „Neben der reinen Baumaßnahme wäre hierbei für uns auch Kosten für einen Schienenersatzverkehr, die Umlegung von wichtigen Versorgungsleitungen und Straßeninstandsetzung entstanden.“ Und Dipl.-Ing. Jens Uhlig, Geschäftsführer von ACI und verantwortlicher Planer für die Maßnahme, ergänzt: „Diese Kosten waren in Summe nur relativ grob kalkulierbar und mit Risikofaktoren verbunden.“

Dazu habe noch die Schwierigkeit bestanden, überhaupt eine Genehmigung für eine längere Sperrung des Kreuzungsbereiches für den Verkehr zu bekommen. So waren Stadtentwässerung Dresden und Planungsbüro ACI sehr schnell bei einer grabenlosen Verfahrensvariante. Doch die unmittelbare Nähe zu dem Wasserwerk Tolkewitz ließ vermuten, dass der Untergrund noch die ein oder andere Überraschung bot. In den aktuell gültigen Bestandsunterlagen waren lediglich zwei in Betrieb befindliche Trinkwasserleitungen verzeichnet, von denen eine im Vorfeld zur Sicherheit höhenmäßig umverlegt wurde. Dennoch war nicht auszuschließen, dass alte, nicht mehr in Betrieb befindliche Leitungen oder Teile davon in dem Trassenverlauf angetroffen werden könnten.

Daher wurde die Überlegung einen Rohrvortrieb zur Verlegung der neuen GFK-Rohre zu verwenden, laut Nytsch ebenfalls verworfen: „Die Gefahr, dass wir mit der Maschine während des Vortriebes auf ein Hindernis stoßen, an dem sie sich festfährt, hatten wir befürchtet. In dem Fall hätten wir zur Bergung der Maschine die Straße öffnen müssen, was nicht möglich gewesen wäre.“ Daher habe man sich bei der Planung für den bergmännischen Stollenvortrieb mit Spritzbetonsicherung entschieden, der von den Kosten her die teurere, aber auf jeden Fall die einzig durchführbare Variante gewesen sei.

Zeitliche Verzögerung durch Hindernisse

Über einen gut sieben Meter tiefen Startschacht, der außerhalb des öffentlichen Straßenraumes errichtet wurde, gruben die Mineure von Heinrich Wassermann zunächst einen Zugangsstollen (b x h = 3,00 m x 3,30 m) bis zur geplanten Trasse unterhalb der Straßenkreuzung. „Die Arbeiten im Zugangsstollen und in der geplanten Kanaltrasse verliefen zunächst ohne große Überraschungen“, so Polier Günther Mertens.

Doch dann sei man auf ein Betonwiderlager und auf eine außer Betrieb gesetzte Trinkwasserleitung DN 1000 aus Guss gestoßen, die in keinem aktuellen mehr Plan verzeichnet war. Diese wurde dann Stück für Stück zurückgebaut und der entstehende Hohlraum mit Spritzbeton gesichert. Die nächste Überraschung sei dann eine alte Schiebervorrichtung gewesen, so Uhlig, bei deren Entfernung alle bekannten Arten der Stahltrennung versagten. „Hierfür haben dann wir einen Spezialisten beauftragt, der mit Hilfe der Seilsägetechnik das Hindernis beseitigt hat“, so Mertens.

Das war auch für den erfahrenen Polier nicht alltäglich. Diese unvorhergesehenen Hindernisse während des Vortriebs, hätten die geplante Fertigstellung der Baumaßnahme um knapp zwei Monate verzögert. Dennoch sind alle Beteiligten nun zuversichtlich auf keine weiteren Hindernisse mehr zu stoßen und so Ende November den neuen Kanalabschnitt anschließen und in Betrieb nehmen zu können.

„Unser erfahrenes Team arbeitet mit Hochdruck an den Vortriebsarbeiten und hat alle Unwägbarkeiten bislang super gemeistert. Daher werden wir wohl Ende September den Stollenvortrieb abschließen können“, erläutert Geschäftsführer Dipl.-Ing. Mauritz Meßler von Heinrich Wassermann den näheren Zeitplan. „Dann können die GFK-Rohre verlegt und angeschlossen werden. Abschließend werden dann der Stollen, der Zugangsstollen sowie der Startschacht fachgerecht verdämmert“, so Meßler weiter.

Fachkompetenz schafft Qualität

Dass alle Beteiligten so zuversichtlich sind, führt Prüfingenieur Dipl.-Ing. Dieter Walter nicht zuletzt auf die umfassenden Planungen im Vorfeld zurück. Dabei zeigte er sich von der gesamten Maßnahme beeindruckt: „Was mich so fasziniert hat ist, dass die Qualitätsplanung im Vorfeld so ganzheitlich stattgefunden hat.“ Man habe wirklich an nahezu alle Eventualitäten gedacht. Dies sei nur mit einem fachkompetenten Team aus Auftraggeber, Planungsbüro und ausführendem Unternehmen möglich.

Dies zeige, dass qualifizierte Fachleute mit gütegesichertem Hintergrund der RAL-GZ 961 gemeinsam schwierige Aufgabenstellungen ingenieurmäßig lösen können. Hierbei spreche für die gelungene Maßnahme, dass die Stadtentwässerung Dresden nicht nur großen Wert auf Qualität bei ihren baulichen Maßnahmen legt, sondern darüber hinaus selber Gütezeicheninhaber ist. Auch ACI und Heinrich Wassermann verfügen über die entsprechenden Gütezeichen.

Bereits seit 1990 können Auftraggeber und auch Ingenieurbüros auf die Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 zurückgreifen, die als von Auftraggebern und Auftragnehmern gemeinsam geschaffenes Instrument zur Beurteilung der Bietereignung und damit zur Sicherung der Qualität dient. Das ist das Ziel der Gütegemeinschaft die Umweltverträglichkeit von Abwasserleitungen und -kanälen zu verbessern und damit den Verunreinigungen von Grundwasser und Boden durch undichte Kanäle entgegenzuwirken und die Öffentlichkeit vor einer Gefährdung durch unsachgemäße Arbeiten zu schützen.

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